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Einleitung.
Den Erläuterungen zu einem Gesetzesentwurfe ist nach der Natur der Sache eine dreifache Aufgabe zugewiesen: Sie sollen die Vorschriften des Entwurfes in ihrem Verhältnis unter sich und zum geltenden Rechte erklären, sie sollen die Gründe angeben, aus denen die Vorschläge aufgestellt werden, und sie sollen doch nicht ausser acht lassen, dass es sich bei ihnen nicht um die Erklärung geltender Gesetzestexte, sondern um eine für die weitern Beratungen wünschenswerte Aufklärung handelt. Sie sind also „Kommentar'', „Motive" und zugleich „Material", mit dem die Bauleute an der Gesetzgebung weiter arbeiten werden.
I. Die Aufgabe der Gesetzgebung. Wer die ganze Fülle des allgemeinen bürgerlichen Rechtslebens mit den Schöpfungen der Gesetzgebung vergleicht, kann diesen in ihrer äusseren Gestalt stets nur eine verhältnismässig bescheidene Stellung beimessen. Die reichste Betätigung rechtlichen Lebens vollzieht sich im allgemeinen Handel und Wandel ohne irgend eine behördliche Mitwirkung. Und wo das Eingreifen der öffentlichen Gewalt sich als notwendig erweist, da erfolgt es in weitaus den meisten Fällen durch den Richter, dessen hohes Amt auch bei ungenügender Gesetzgebung die rechtliche Ordnung zu wahren vermag. Die Gesetzgebung ist nichtsdestoweniger eine für ein entwickelteres Rechtsleben notwendige Äusserung der Rechtsbildung. Sie vermag die Ordnung der Interessen von einem höheren Standpunkte aus zu überblicken, als dies für den einzelnen Fall die Beteiligten selber oder die urteilenden Richter imstande sind. Sie vermag Gefahren vorzubeugen oder Entwicklungen die Bahn zu öffnen, die, wenn sie auf die Entscheidung einzelner streitiger Fälle durch die Gerichte angewiesen blieben, nur mühsam oder gar nicht die durchaus nötige Beachtung finden könnten. So gilt dies auch für unsern Fall. Man kann sehr wohl zugeben, dass, wie es von verschiedener Seite behauptet worden ist, das Bedürfnis nach der Vereinheit-



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lichung des bürgerlichen Rechtes auch ohne die Unterstützung durch die Gesetzgebung im allgemeinen Verkehr und in der Rechtsprechung der Gerichte allmählich Befriedigung zu finden vermöchte. Allein mit welcher Unsicherheit, mit welchem Aufwand von Zeit und Mühe, mit welchen Gefahren, mit welchen Rückschlägen und mit welcher Ungewissheit gegenüber dem Einflusse, der von den Nachbarländern auf unsere von der Gesetzgebung im Stiche gelassene Rechtspraxis unfehlbar ausgeübt werden müsste, davon kann sich ein Bild machen, wer sich die Schicksale unserer bundesrechtlichen Entwicklung aus der Zeit vergegenwärtigt, wo die Gesetzgebungsgewalt des Bundes noch gar nicht bestanden hat. Wird es demnach für wünschenswert zu erachten sein, dass die Gesetzgebung der Entwicklung zum einheitlichen Rechte nicht untätig gegenüberstehe, so ist doch mit allem Nachdruck hervorzuheben, dass die Gesetzgebung bei dieser Arbeit an der Vereinheitlichung nicht etwa eine fremdartige oder willkürliche Bewegung bedeutet. Vielmehr kann und darf sie sich nur als das Werkzeug betrachten, mit welchem dasjenige zur Durchführung gebracht wird, was ohnedies im Volke bereits lebt. Die Gesetzgebung spricht nur das durch die allgemeine Entwicklung gegebene Wort für die Gedanken aus, die ohnedies vorhanden sind, die aber eines solchen Ausdruckes bedürfen, weil sie ohne diese Hilfe nur schwer zu voller Klarheit durchzudringen vermöchten. Das Gesetz muss aus den Gedanken des Volkes heraus gesprochen sein. Der verständige Mann, der es liest, der über die Zeit und ihre Bedürfnisse nachgedacht hat, muss die Empfindung haben, das Gesetz sei ihm vom Herzen gesprochen. Keine Nachahmung, keine Wissenschaft, keine Phantasie vermag hier den eigentlichen Lebensnerv zu ersetzen. Nur in stiller, beharrlicher Aufmerksamkeit und in stetem und innigem Zusammenhange mit dem Rechtsleben des Volkes lässt sich etwas von jenen Stimmen erlauschen, die Kunde geben von der den Überlieferungen entsprechenden Weiterbildung eines volkstümlichen Rechtes. Der Gesetzgeber schafft das Recht nach dem, was seiner Überzeugung nach Recht sein sollte. Er vermag sich diese Überzeugung aber nicht unabhängig von den Dingen, wie sie sind, zu bilden. In der Betrachtung der gegebenen Zustände, nach den Erfahrungen, die mit diesen gemacht worden sind, nach den Anforderungen, die sich aus dem Leben ergeben, gelangt er zu seiner Auffassung, wie jeder denkende Bürger. Nur dass der Bürger seiner Ansicht einzig in der Kritik und in der Abstimmung, das gesetzgebende Organ dagegen, seiner hohen Stellung entsprechend, in der formellen Bildung und Ausgestaltung der Rechtsvorschriften Ausdruck zu geben vermag.



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Jede Gesetzgebung tritt der Natur der Sache gemäss mit dem Anspruche auf, für eine Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes gehalten zu werden. Sie will den Anforderungen der Zeit genügen. Sie will aber auch über der augenblicklichen Strömung nicht das vorhandene Gute im Rechtsbestande preisgeben. Sie sucht es vor Gefahren zu bewahren. Sie tritt also dem geltenden Rechte, sei es abändernd, sei es bestätigend und befestigend gegenüber. In allem aber lässt sie sich von der Anschauung dessen leiten, was im Ausblicke auf das, was Recht sein sollte, zur gegebenen Stunde erreichbar erscheint. Drei Richtungen werden es sein, die hierbei dann vornehmlich für die gesetzgeberische Tätigkeit in Betracht fallen: Es können sittliche Erwägungen sein, die zu Gesetzgebung auffordern, oder es können wirtschaftliche oder auch politische sein, wobei natürlich diese Gesichtspunkte sich häufig so oder anders verbinden werden. Man denke nur an die Kombination von sittlichen und ökonomischen Erwägungen im ehelichen Güterrechte, oder von wirtschaftlichen und politischen im Hypothekarrechte. Ebenso wie Kombinationen können sich aber aus den verschiedenen Gesichtspunkten für die Gesetzgebung auch Konflikte ergeben, die auf Grund der Wertung der in Betracht fallenden sittlichen oder wirtschaftlichen Interessen der Lösung bedürfen, die dem allgemeinen Wohle am meisten entspricht. Man denke an die Stellung der Ehefrau im freien Berufe, an die Freiheit der Eltern in der Erziehung der Kinder, an den Schutz des gutgläubigen Erwerbes von Rechten zum Schaden anderer u. a. m., wo überall der Gesetzgeber nicht etwa deshalb den sittlichen Postulaten nach einer bestimmten Richtung die volle Anerkennung verweigert, weil er nur ein Mindestmass von Sittlichkeit zu verlangen vermag, sondern weil andere hohe Interessen gebieterisch nach dieser Einschränkung verlangen.
Auf dem ethischen Gebiete fordern in unserer Zeit die Tätigkeit des Gesetzgebers namentlich heraus:
Im Eherecht die Frage nach einer Erhöhung des Alters der Ehefähigkeit gegenüber dem Auftreten häufiger leichtsinniger Eheschliessungen, die Frage nach einer Erschwerung des Scheidungsrechtes gegenüber der Zunahme der Scheidungsbegehren, die Frage der Einräumung einer grösseren Selbständigkeit an die Ehefrau gegenüber den schlimmen Folgen, die eine allzugrosse ehemännliche Gewalt mit sich bringen kann.
Im Eltern- und Kindesrecht die Frage einer Verschärfung der obrigkeitlichen Aufsicht über die Eltern gegenüber einer Verwahrlosung der Jugend, für die bei den modernen Erwerbs- und Wohnungsverhältnissen eine grössere Gefahr als ehedem zu bestehen scheint.



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Im Vormundschaftsrecht eine klarere Abgrenzung der amtlichen Befugnisse gegenüber einer patriarchalischen Willkür, die wenigstens da nicht mehr passend erscheint, wo ihre natürliche Voraussetzung, die genaue Kenntnis der persönlichen Verhältnisse in kleinem Kreise, verloren gegangen ist.
Der Gesetzgeber wird in allen diesen Fragen vor die beiden Extreme gestellt, einerseits des wohlwollenden Beamten, der alles Ungerade kraft seiner Autorität gerade zu machen bestrebt ist, und anderseits des freiheitsliebenden Bürgers, der sich die Einmischung in seine eigenen Angelegenheiten seitens der Staatsgewalt ernstlich verbittet. Und in dem Ausgleiche dieser beiden an sich berechtigten Anschauungen liegt alsdann die Ordnung der behördlichen Hilfe beim Ehezwist, bei der Oberaufsicht der Vormundschaftsbehörde über die Erziehung der Kinder durch die Eltern, und was mit diesen Fragen sonst noch zusammenhängt.
Auf wirtschaftlichem Gebiete sehen wir vor uns:
Die Aufstellung von Formen, die zur Eingehung von Verbindlichkeiten verlangt werden sollen, gegenüber der Beobachtung allzu häufiger leichtfertiger Vertragsschlüsse, wie betreffend die Bürgschaften, die Erbverträge, die familienrechtlichen Abreden.
Die formale Ordnung der dinglichen Rechte gegenüber dem Wirrwarr, der bei Mangel an öffentlichen Büchern in diesen Dingen einzureissen pflegt.
Die Aufstellung von Zinsbeschränkungen im Hypothekarrecht, die Umschreibung der Rechte des Pfandgläubigers, die Schaffung eines verkehrsfähigen Pfandtitels, die Aufstellung von Kautelen für den Schuldner gegenüber der Beobachtung von ungerechtfertigter und einseitiger Ausgestaltung der Verträge durch die eine oder die andere Partei, gegenüber den Verlusten, die da und dort eintreten, oder gegenüber dem Druck, den eine ungenügende Grundpfandordnung auf den gesamten Immobiliarkredit des Landes auszuüben vermag.
Die Neuordnung der Gesellschaftsformen, die Ausgestaltung der bestehenden Institute, die Einführung neuer Gebilde, gegenüber der Beobachtung, dass man mit den bisherigen Einrichtungen nicht genügend für die Kreditverhältnisse gesorgt, öffentlichem Treu und Glauben nicht den erforderlichen Schutz zugewendet, oder dem Verkehre Rechtsinstitute verschlossen hat, die ohne Nachteil sehr wohl anerkannt werden könnten, wie die Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
In den letztgenannten Richtungen kann man beobachten, dass der Verkehr, wo eine ungenügende Weiterentwicklung der Rechtsordnung ihn hemmt, auf Umwegen sein Ziel zu erreichen sucht:



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Separate Verpflichtungen ergänzen dann ein ungenügendes Hypothekarrecht, Eigentumsvorbehalte müssen das mangelnde Pfandrecht ersetzen, Gesellschaftsformen werden Zwecken dienstbar gemacht, die gar nichts mit der ursprünglichen Form zu tun haben. Der ordnenden Hand des Gesetzgebers muss es obliegen, diesen Beobachtungen nachzuspüren und zur rechten Zeit durch eine Reform dafür zu sorgen, dass der wirtschaftliche Verkehr der seinen Bedürfnissen entsprechenden Formen teilhaftig werde.
Auf politischem Gebiete endlich kann der Gesetzgeber zur Tätigkeit veranlasst werden:
Wenn er erkennt, dass unter der Zersplitterung des Rechtszustandes der Verkehr im Innern eine Hemmung und Schwächung erfährt, die durch grössere Einheit in der Rechtsordnung gehoben werden könnte.
Wenn er beobachtet, dass in den zersplitterten lokalen Kreisen das Verständnis und die Kraft zu schwinden beginnen, den Aufgaben gerecht zu werden, die an die Rechtsordnung nach den obwaltenden Zeitläuften nun einmal gestellt sind.
Ebenso auch, wenn der Gesetzgeber entdeckt, dass ein Einfluss auswärtiger Faktoren sich geltend macht, der in der Natur der Sache nicht begründet ist, und der dazu führen müsste, dass auch das gute Vorhandene in der überlieferten Rechtsordnung der Nachahmung zum Opfer fiele, falls die Gesetzgebung sich seiner beizeiten nicht annähme.
Endlich rechnen wir zu den politischen Tendenzen auch die Anerkennung einer grösseren individuellen Freiheit im bürgerlichen Rechte, im Gegensatz zu der aus kleinen genossenschaftlichen Kreisen überlieferten engen Einschränkung der Persönlichkeit in den Rahmen der absoluten Rechtsinstitute, durch die eine jede selbständige Regung in der Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse von vornherein als schadenbringend ertötet werden will. Der Gesetzgeber wird, neben allen mitwirkenden ethischen und wirtschaftlichen Rücksichten, hieraus zur Anerkennung der Freiheit des Ehevertrages und zu einer Erweiterung der Testierbefugnisse gelangen, sobald er davon überzeugt ist, dass solche Reformen zur Kräftigung des Landes in seinem gesamten Verkehrsleben und zur Bewahrung vor Stillstand und Verknöcherung wünschenswert oder gar dringend geboten seien.
In allen diesen Richtungen wird für unsere Verhältnisse das Postulat der Vereinheitlichung des Rechtes sich mit dem Bestreben verbinden, eine Reform des materiellen Rechtes durchzuführen. Das eine lässt sich ohne das andere schon deshalb nicht wohl denken, weil bei der Vereinheitlichung das Streben vorwalten muss,



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aus allen den kantonal verschiedenen Ordnungen diejenige zur eidgenössischen zu erheben, die nach den Umständen am ehesten dazu berufen erscheint. In jedem Falle aber wird hiernach die Vereinheitlichung bald in einer Neuerung und bald in einer Konservierung des überlieferten Rechtes bestehen, womit sich in enger Verwandtschaft auch einerseits die Nachahmung fremden Rechtes und anderseits die Pflege des einheimischen verbindet. Es verlohnt sich, diese Verschiedenheit der möglichen Wege noch etwas näher ins Auge zu fassen.
Im allgemeinen lässt sich wohl sagen, dass bei der Kodifikation die Konservierung der Neuerung vorgeht. Es ergibt sich dies schon aus der besonderen Aufgabe, die bei der Kodifikation gestellt ist. Man soll dasjenige, was zersplittert im Rechte gegeben ist, zu einem System vereinigen und gleichmässig ausbilden. So hat es denn auch bei den kantonalen Kodifikationen seinerzeit nicht an Stimmen gefehlt, die grundsätzlich jede Neuerung abgelehnt haben, wie dies beispielsweise in der Waadt vor dem Jahre 1819 mit besonderem Nachdruck verteidigt worden ist: Um Reformen durchzuführen, habe man den Weg der Spezialgesetzgebung zu betreten, die es gestatte, die gesamte Aufmerksamkeit auf eine einzelne Frage zu konzentrieren, wogegen die systematische Zusammenfassung in einem Gesetzbuche die Aufmerksamkeit auf das Einzelne in dem Grade ausschliesse, dass man zufrieden sein müsse, das System zu erhalten, wenn auch mit dem Inhalte des unveränderten überlieferten Rechtes. Diese Erwägung mag denn auch bei der Kodifikation eines bereits einheitlichen Rechtes durchaus zutreffen. Allein wo es sich darum handelt, mit der Kodifikation die Rechtseinheit durchzuführen, da liegt die Sache doch anders. Da kann es gegenüber einer vielgestaltigen Überlieferung gar nicht vermieden werden, dass man hier das eine und dort das andere bevorzugt, und wie sollte diese Bevorzugung anders stattfinden können als so oder anders mit einer Neuerung ? Man wird das zersplitterte Recht nach den Bedürfnissen und Anschauungen des Zeitalters durch ein einheitliches zu ersetzen versuchen. Man wird aus dem überlieferten Recht dasjenige auswählen, was in ethischer, wirtschaftlicher oder politischer Richtung den Ideen entspricht, die nach der Anschauung des Gesetzgebers einer Berücksichtigung bedürftig oder fähig sind. Folge davon aber wird sein, dass auch das kodifizierte Recht neben aller Tendenz zur Befestigung des Überlieferten eine gewisse moderne Gestalt annimmt, dass es vor Neuerungen nicht zurückscheuen darf.
Und was das Verhältnis des Einheimischen zur Nachahmung anbelangt, so darf daran erinnert werden, dass ohne eine stete



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aufmerksame Vergleichung mit anderen Rechtsgebieten die Gesetzgebung der Gefahr verfällt, sich in einer ungerechtfertigten Einseitigkeit zu entwickeln. Wie für den Einzelnen, so ist für die Völker der Umgang mit andern ein unentbehrliches Lebenselement. Die Gesetzgebung darf nicht zur chinesischen Mauer werden. Und doch würde man zu weit gehen, wenn man einfach der Gesetzgebung den Satz auf den Weg geben wollte, sie solle sich überall umsehen, alles prüfen und dann aus aller Herren Länder jeweils das beste zusammentragen. Denn man darf nicht vergessen, dass jedes Rechtsinstitut in einer besonderen, individuellen Ausgestaltung aus seinen eigenen Wurzeln erwachsen ist. Es ist in der Luft und auf dem Boden gross geworden, wo es lebt, und zwar nicht in einem Tage, sondern im Laufe von Jahrhunderten. So kann denn eine Einrichtung für ein bestimmtes Gebiet, das sie geschaffen hat, ganz ausserordentlich günstig wirken, während es fraglich ist, ob auf anderem Gebiete der gleiche Erfolg eintreten würde. Nur im engsten Zusammenhange mit den übrigen Lebensbedingungen wird man es entscheiden können, ob die Verpflanzung eines fremden Gebildes ratsam oder auch nur möglich sei. Und überdies ist die Gewöhnung an ein überliefertes Rechtsinstitut auch nicht gering anzuschlagen. Mit dem Gewohnten arbeitet das Volk leicht besser als mit Fremdem, selbst wenn dieses an und für sich das Bessere sein sollte. Man wird daher in der Regel nicht einfach eine fremde Einrichtung aufnehmen können, sondern zumeist wird der eminente Gewinn aus der Vergleichung nur darin, aber auch gerade darin bestehen, dass man aus den ausländischen Vorbildern ersieht, wie dort die Bedürfnisse erkannt und berücksichtigt worden sind. In der formalen Anregung liegt das Nützliche der Vergleichung und nicht in der Kopie. Man muss es auf unserem Boden und für unsere Verhältnisse ebenso gut zu machen suchen, als sie es in den andern Ländern für ihre Bedürfnisse getan haben. Man hat die Gesetze der Nachbarländer, wie vornehmlich den Code Civil Français und das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch nicht auszuschreiben, sondern durch eigene Schöpfungen, soweit dies überhaupt ratsam erscheint, es ihnen gleich zu tun.
Anderseits darf dann aber auch nicht vergessen werden, welch eminente Vorteile es bietet, wenn die Rechtsinstitute des eigenen Landes mit denen des Auslandes übereinstimmen. Jede Erweiterung des Rechtsgebietes bedeutet eine Erleichterung und Vermehrung der Sicherheit des Verkehrs, und man kann es von dieser Erwägung aus gewiss nur begrüssen, wenn, namentlich auf dem Boden der eigentlichen Verkehrsinstitute, der Anschluss an das Ausland



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ohne Scheu angestrebt wird. Darf darnach den Gesetzgeber kein Vorwurf treffen, wenn er die Handelsgesellschaften oder das Wechselrecht dem modernsten ausländischen Vorbilde einfach so viel als möglich nachgebildet hat, so würde doch das gleiche für die Einrichtungen der intimeren Lebenskreise, im ehelichen Güterrecht oder im Erbrecht, schwerlich zu sagen sein. Trifft es sich hier, wie in dem Institut der Güterverbindung oder in der Erbfolgeordnung der Parentelen, dass unser Recht mit dem des Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches im wesentlichen übereinstimmt, oder in der Vertragsfreiheit den gleichen Anschauungen folgt wie der Code, so dürfen wir allerdings auch hier uns dessen freuen. Nur spreche man alsdann nicht von Nachahmung. Denn es ist die eigene Entwicklung, die uns auf diese Wege geführt hat, und die auf Grund alter, mittelalterlicher Gemeinschaft uns zu dem gleichen materiellen Rechte gelangen lässt, wie es dort in der modernen Gesetzgebung zu Ehren gezogen worden ist.
II. Die Arbeit der Gesetzgebung. Jede Gesetzgebung ist eine rechtsverbindliche Anordnung von Rechtssätzen und also ihrem Wesen nach eine Aufstellung von Befehlen. Dieser Charakter wird sich auch in der äusseren Gestalt der Rechtssätze weder verleugnen können noch dürfen. Zum mindesten wird die Redaktion der Gesetze aus diesem Axiom eine Wegleitung empfangen, die es verhindert, dass sie ihre Aufgabe misskennt und die Pfade der Wissenschaft oder des Lehrbuches wandelt. Man kann folgende Momente hervorheben, die in dieser Beziehung die Arbeit des Gesetzgebers zu charakterisieren geeignet sind.
Zunächst wird der Gesetzgeber aus den zu ordnenden Verhältnissen sich möglichst viele Tatbestände zu vergegenwärtigen haben, für jeden sich — vielleicht in Anlehnung an vorhandene gerichtliche Entscheidungen — eine Überzeugung bilden, wie er am besten zu ordnen wäre. Zum Beispiel im ehelichen Güterrecht die Fälle, wo die Ehefrau im Geschäfte des Mannes mittätig ist, wo sie einen eigenen Beruf betreibt, wo sie von der Sorge für die Haushaltung ganz in Anspruch genommen wird, wo das Vermögen von ihrer Seite, wo es von der Mannesseite eingebracht ist usw. Während der Richter die sich solcher Gestalt darbietenden einzelnen Fälle nach dem gegebenen, allgemein gültigen Rechtssatze zu beurteilen hat, ist dem Gesetzgeber die Aufgabe gestellt, in einer möglichst umfassenden Zusammenziehung den Rechtssatz zu finden, der für die einzelnen Fälle passt, vom einzelnen also ins allgemeine zu gehen, und zwar nach der Überzeugung von dem, was er für Recht erachtet. Er stellt den Satz



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auf und befiehlt, dass künftig alle die entsprechenden Fälle nach dieser Regel und nach ihren Konsequenzen zu beurteilen seien, während der Richter umgekehrt den vorgeschriebenen Satz auf die einzelnen Fälle in gerechter Weise anzuwenden hat.
Bei der Zusammenfassung wird der Gesetzgeber es als seine Aufgabe betrachten müssen, die zahlreichen Fälle möglichst unter eine allgemeine Regel zu bringen. Dies schon deshalb, weil die Gesetze dadurch kürzer werden. Nichts trägt so sehr zur Vereinfachung der Gesetzgebung bei, wie die Zusammenfassung der einzelnen Anordnungen in wenige, klare Grundsätze. Überdies aber wird durch solche Verallgemeinerungen auch die Rechtsüberzeugung befestigt und die Gleichheit in der Ordnung der Verhältnisse gefördert. Grosse Gedanken, allgemeine Wahrheiten liegen unserer Rechtsüberzeugung bewusst oder unbewusst zu Grunde, und der Gesetzgeber vermag durch nichts den Eindruck seines Werkes mehr zu vertiefen und zu befestigen, als wenn es ihm gelingt, in seiner Redaktion auch solchen Grundsätzen Ausdruck zu geben. Freilich sträuben sich die Verhältnisse selber gegen eine solche Verallgemeinerung. Sie wollen möglichst individuell behandelt werden, sie begehren nach einer ihrem eigentümlichen Wesen im einzelnen Falle möglichst angepassten Entscheidung. So würde es unstreitig ein grosser allgemeiner Gedanke und ein an sich auch nicht unwahrer Rechtssatz sein, wenn schlechtweg für das eheliche Güterrecht eine Regel aufgestellt würde, die jene Anschauung wiedergäbe, die in alten Sprichwörtern einen so beredten und vielfältigen Ausdruck gefunden: Mann und Weib, Ein Leib! Die Eheleute sind gleich reich! u. a. m. Es würde damit nach der modernen Ausdrucksweise die allgemeine Gütergemeinschaft unter den Ehegatten ausgesprochen, indem man einfach verfügte: Alles, was die Eheleute besitzen oder erwerben, sei ihr gemeinschaftliches Gut. Allein eine solche Ordnung würde nicht für alle Fälle passen, und gerade da würde es sich zeigen, dass die Gesetzgebung nur insoweit generalisieren darf, als dies dem Wesen der Verhältnisse zuträglich ist. Sie wird verschiedene Systeme unterscheiden müssen, und nur in beschränktem Umfang allgemein gültige Rechtssätze für das eheliche Güterrecht aufzustellen vermögen. Allein auch wo der Gesetzgeber darauf verzichtet, eine allgemeine Regel aufzustellen, da geschieht es nicht, um die Fälle an sich zu individualisieren, sondern um einem noch höheren Gedanken, einem noch allgemeineren Prinzipe dadurch erst einen richtigeren, vollkommeneren Ausdruck zu verschaffen, der im ehelichen Güterrecht beispielsweise in der Freiheit der güterrechtlichen Abrede zu finden wäre.



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Dazu kommt eine weitere Grenze, durch deren Beobachtung sich die Gesetzgebung von der Wissenschaft unterscheidet. Der Gesetzgeber muss jeden seiner Rechtssätze nicht nur so bilden, dass er nach seiner Überzeugung in die allgemeine Rechtsordnung passt, also mit den anderen Rechtssätzen in Einklang steht, sondern er muss ihm auch einen solchen Ausdruck verleihen, dass er unmittelbar auf die einzelnen Fälle des praktischen Lebens anwendbar ist. An ein solches Postulat ist bei der Wissenschaft nicht zu denken. Sie kann ungemessen verallgemeinern, der Gesetzgeber dagegen darf dies nur insoweit, als der Rechtssatz unmittelbar verständlich bleibt. Man denke z. B. an ein allgemeines Prinzip, wonach ein jeder da zu haften hat, wo er durch seine Tätigkeit im eigenen Interesse über das in der gewöhnlichen Existenzsphäre übliche Mass hinaus für andere gefährdend wirkt. Dieser Satz mag noch so sehr wissenschaftlich richtig sein, er würde sich doch niemals dazu eignen, als allgemeiner Rechtssatz in ein Gesetzbuch aufgenommen zu werden. In seiner Allgemeinheit bildet er weit mehr eine Anweisung an den Gesetzgeber, als eine von diesem ausgehende Anordnung. Für einzelne Klassen von Rechtsverhältnissen, wie das Verhältnis des Familienhauptes zu den seiner Gewalt unterworfenen Gliedern, des Dienstherren zu den Arbeitern, des Eigentümers eines Gebäudes, des Inhabers einer Fabrik, des Halters eines Tieres usw. wird daraus der Gesetzgeber die jedesmal den besondern Verhältnissen angepassten einzelnen Regeln aufzustellen haben, die bestimmt und detailliert genug gehalten sind, um alsdann direkte Anwendung in der Praxis erfahren zu können. Freilich ist die Abgrenzung hier oft sehr zweifelhaft, und der Gesetzgeber darf da, wo auch bei der Aufstellung von Einzelsätzen für die verschiedenen Äusserungen des allgemeinen Gedankens nicht über die Festsetzung des Grundsatzes hinausgegangen werden könnte, offenbar dann doch immer der einmaligen grundsätzlichen Ordnung vor den Detailvorschriften den Vorzug geben. Man denke z. B. an den Einfluss der Ehre nach Art. 14 des Entwurfes.(1)
Damit verwandt ist ein anderer Gegensatz zwischen Gesetzgebung und Wissenschaft. Diese darf und soll ein System bilden, mit gleichmässigem Ausbau aller Glieder, unabhängig von der grösseren oder geringeren praktischen Notwendigkeit der einzelnen Teile. Die Gesetzgebung dagegen ist befugt, ja um ihres unmittelbaren praktischen Zweckes willen geradezu verpflichtet, dem Wichtigeren, vor dem Unwichtigeren, dem Häufigerem vor dem
(1) Die Bestimmung findet sich im ZGB nicht mehr. Vgl. Botsch., S. 17.



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Selteneren den Vorzug zu geben. Es ist ein feiner Unterschied, der dann und wann hier zu Tage tritt. Man denke z. B. an die Vindikation von Mobilien, die dem Eigentümer ohne seinen Willen abhanden gekommen sind. Da hat sich das Obligationenrecht genug sein lassen, nur die gestohlenen oder verlorenen Sachen zu nennen und nicht die durch Naturgewalt weggeführten Sachen. Der Entwurf geht hier in der Verallgemeinerung etwas weiter (Art. 977).(1) Oder man denke an den Satz, dass niemand sein Recht nur zu dem Zwecke ausüben soll, um andere damit zu schädigen. Gewiss gilt dieser Satz auch in den obligationenrechtlichen Verhältnissen. Allein seine eigentlich praktische Bedeutung findet sich beim Grundeigentum, in Beziehung auf die Rechte, die der Grundeigentümer aus seinem Verhältnis jedermann gegenüber anzusprechen befugt ist. Daher hat der Entwurf die Regel im Sachenrecht, Art. 644, Abs. 2, aufgestellt.(2) In andern Fragen kann die Überlieferung den Gesetzgeber bestimmen, ein Institut ausführlicher zu ordnen als ein anderes, das in der praktischen Bedeutung von jenem nicht zurücksteht, oder man beobachtet, dass hier durch Vertrag die Verhältnisse geordnet zu werden pflegen und auch leicht geordnet werden können, während sich dieses dort ausschliesst. Man denke z. B. an die ausführlichere Ordnung der Nutzniessung an Forderungen im Verhältnis zum Pfandrecht an Forderungen (Art, 767, 883), (3) bei deren Regelung der Entwurf den Beispielen des geltenden Rechtes gefolgt ist.
Wo der Gesetzgeber bei solchen Problemen, um der unmittelbaren Deutlichkeit willen, den allgemeinen Satz preisgibt und nur für einzelne Rechtsinstitute die Regel aufstellt, da muss man sich jeweils darauf verlassen, dass in der Praxis, an der Hand einer weitherzigen Gesetzesinterpretation, der Richter dazu gelangen werde, den allgemeinen Satz, der in jener Regel sich findet, herauszuschälen und aus ihm für andere Fälle die Vorschrift abzuleiten, die jener Regel entspricht. Die Analogie also hilft in solchen Fällen, wenngleich man bei diesen Fragen sehr oft die Meinung zu hören bekommt: Wenn der Gesetzgeber eine Regel nicht allgemein, sondern nur für einzelne Institute ausgesprochen habe, so bekunde dies eben gerade seinen Willen, dass diese Regel für andere nicht gelten soll. Und manchmal lässt sich diese Folgerung gewiss auch nicht ablehnen. Man denke z. B. an die im Obligationenrecht aufgestellte Regel der passiven Solidarität bei der Gebrauchsleihe oder der Hinterlegung. Da müsste es, auch
(1) Vgl. ZGB 934. (2) Die allgemeine Regel ist im ZGB nun doch in Art. 2, Abs. 2, aufgestellt u. VE 644 infolgedessen gestrichen worden. (3) ZGB 773/5, 906.



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wenn Art. 162 0R (1) eine Ausdehnung nicht ausdrücklich ausgeschlossen hätte, doch als unzulässig erachtet werden, die gleiche Regel analogieweise auch beim Kauf, oder bei dem Dienstvertrag oder Darlehen anzunehmen. Denn die besondere Vorschrift erscheint für die Fälle, wo sie sich wirklich aufgestellt findet, in besonderem Sinne begründet, verträgt daher keine Verallgemeinerung.
Im fernern darf auf die Unterscheidung hingewiesen werden, dass die Wissenschaft zu Fachleuten spricht und genug getan hat, wenn sie für diese verständlich ist. Nicht so die Gesetzgebung. Man mag noch so sehr von der Notwendigkeit der juristischen Ausbildung der Beamten überzeugt sein, die zur Anwendung der Gesetze berufen sind, so enthält das Gesetz nach unserem heutigen Rechte doch niemals nur eine Anweisung an die Beamten, wie sie gegebenen Falles zu verfahren hätten. Es will sich an alle wenden, die ihm unterworfen sind. Die Gebote des Gesetzgebers müssen daher, soweit dies mit dem speziellen Stoff verträglich ist, für jedermann oder doch für die Personen, die nach den gesetzlich geordneten Beziehungen in einem Berufe tätig sind, verstanden werden können. Ihre Sätze müssen auch für die nicht fachmännisch ausgebildeten Personen einen Sinn haben, wenngleich der Fachmann jederzeit mehr daraus wird entnehmen können, als die andern. Das ist es vornehmlich, was man die volkstümliche Redaktion eines Gesetzes zu nennen pflegt.
Des weitern möchten wir noch hervorheben, dass die Wissenschaft notwendig von gewissen allgemeinen Voraussetzungen ausgehen muss, die sie in ihren Deduktionen festzustellen, jedenfalls deutlich vernehmbar zu machen hat. Der Gesetzgeber dagegen braucht solche allgemeine Wahrheiten niemals zu nennen. Er hat von ihnen gar nicht zu sprechen. Er darf, er soll sie stillschweigend voraussetzen. Die beste Probe hierfür ist der Versuch, ob sich eine Regel als Imperativ denken lässt: Erscheint dies als ausgeschlossen, so hat man regelmässig auch keinen tauglichen Gesetzesinhalt vor sich. Die Wissenschaft will belehren über das, was ist. Der Gesetzgeber befiehlt. Dass der Vertrag durch übereinstimmende gegenseitige Willensäusserung zustande kommt, erscheint unter dieser Betrachtung nur nach der Richtung als eine taugliche Gesetzesregel, als in ihr die Vorschrift gefunden wird, dass Verträge im allgemeinen ohne jede Formbeobachtung gültig geschlossen werden können. Vgl. Art. 1 des OR. Freilich kommt der Gesetzgeber häufig dann doch in die Lage, eine Regel aufzustellen, die wie eine wissenschaftliche Umschreibung, wie eine Definition klingt
(1) OR 143.



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oder eine wissenschaftliche Abgrenzung enthält. Was aber darin Ausdruck findet, ist eine Anweisung, die gegenüber kontroversen Lehrmeinungen für die Praxis in häufigen Fällen Bedürfnis sein kann. Die Definition wird also vom Gesetzgeber in dem Sinne aufgestellt, dass die Rechtübenden und Rechtsuchenden sich darnach richten, daran halten sollen, dass der Richter darnach Recht zu sprechen habe. Also auch hier dann wieder doch der Imperativ des Gesetzgebers. Man denke z. B. an die Umschreibungen der Zugehör, der Früchte, der Grundlast, des Eigentums, während, wo eine solche allgemeine Umschreibung nicht notwendig zu sein scheint, sie ruhig weggelassen werden kann, z. B. betreffend die Nutzniessung. Denn es soll ja kein Lehrbuch, kein wissenschaftliches Werk, sondern ein Gesetz geschaffen werden.
Endlich sei auch noch darauf verwiesen, dass die Wissenschaft unzweifelhaft ihre Winke und Ratschläge darüber zu geben befugt ist, wie ein vorliegendes objektives Recht zu verstellen sei. Die Richter und Rechtsuchenden mögen daraus entnehmen, was mit der Anwendung und Auslegung des geltenden Rechtes nach ihrer Überzeugung als verträglich zu erachten ist. Für den Gesetzgeber erscheint eine jede solche Unbestimmtheit ausgeschlossen. Er muss auch diesfalls sich stets vor Augen halten, dass er dazu berufen ist, nicht gute Räte, sondern Befehle zu erteilen. Ja auch wo das Gesetz auf das Ermessen des Richters verweist, liegt ein Befehl vor. Es wird damit, in den nach der Natur der Sache angezeigten Fällen, dem Richter die bestimmte Anweisung erteilt, nicht in äusserlicher Weise nach formalistischer Regel und Beweislast das Urteil zu bilden, sondern sich in das Wesen der Sache zu vertiefen und die Entscheidung nach der Überzeugung zu fällen, die er im Rahmen der vorhandenen Rechtsordnung von dem gewinnen kann, was unter den vorliegenden Umständen dem wahren Rechte am nächsten kommt.
Von solchen Anschauungen aus ist die Redaktion des Entwurfes durchgeführt worden, und wo sie ihnen nicht entspricht, da liegt eine Abweichung vor, die nicht beabsichtigt ist, sondern soweit möglich stets noch gut gemacht werden sollte.
Über den Gang der Arbeit macht die Beilage zum Entwurfe von 1900 ausführliche Mitteilung. Nach dem Plane, der im Memoriale vom 17. November 1893 niedergelegt ist, sollte der Redaktor nicht von sich aus einen fertigen Entwurf ausarbeiten, der alsdann der Kritik und einer ihm vielleicht fremden Umarbeitung unterworfen worden wäre, sondern es wurden von Anfang an zwei Hilfsmittel herangezogen, die sich in der Folge bewährt haben:



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Einerseits die Vernehmlassungen der kantonalen Regierungen und anderer weiterer Kreise, sowie des Bundesgerichts, und anderseits die Mitarbeit kleiner Kommissionen, die neben dem Redaktor und später dem Vorsteher des eidgen. Justiz- und Polizeidepartementes nur aus zwei bis höchstens vier Mitgliedern bestunden und aus deren Beratungen heraus den einzelnen Teilen des Entwurfes erst eine festere Gestalt gegeben worden ist. Die Erläuterungen werden oft sowohl auf jene Vernehmlassungen, als auf diese Kommissionsberatungen Bezug nehmen. Auf das geltende kantonale Recht wird durch Anführung des „Schweizer. PR" verwiesen werden, worunter das in der genannten Beilage angeführte Werk über System und Geschichte des Schweizerischen Privatrechts verstanden ist.
III. Sprache und Anordnung des Entwurfes. Die Grundsätze, von denen die Arbeit am Entwurfe nach den obigen Ausführungen auszugehen hatte, musste, abgesehen vom Inhalt der Rechtsinstitute, vornehmlich Bedeutung gewinnen in bezug auf die Sprache und das System oder die Anordnung der Bestimmungen und Institute. Treten wir auch auf diese Seite des Entwurfes etwas näher ein, so ist
1. betreffend die Sprache als leitender Gedanke hervorzuheben, dass der Entwurf, in dem schon betonten Sinne eine allgemeine Verständlichkeit angestrebt und diese durch einen möglichst einfachen, klaren und schmucklosen Ausdruck zu erreichen versucht hat. Einige Eigentümlichkeiten seien dabei noch angemerkt.
Wir haben es soviel als nur tunlich vermieden, lange Artikel zu bilden. Abgesehen von den Fällen der Aufzählungen, wie im Vormundschaftsrecht bei den der vormundschaftlichen Genehmigung bedürftigen Geschäften u. dergl., haben wir es nahezu vollständig durchgeführt, niemals mehr als drei Absätze in einen Artikel zu vereinigen. Die Absätze enthalten selten mehr als einen Satz und sollten nirgends so lange sein, um nicht auch dem, der in der Lesung solcher Dinge weniger geübt ist, den wünschenswerten Überblick zu ermöglichen. Unterabteilungen sind selten gemacht, nirgends ist im Artikel selber etwa eine Einteilung in Paragraphen aufgenommen. Dadurch erreicht man neben der leichtern Orientierung zugleich auch ein sehr einfaches Zitieren, indem sozusagen niemals mehr als der Artikel und der Absatz angeführt werden müssen. Die zu einem Artikel vereinigten Absätze tragen jeder seine besondere Nummer und zugleich eine Überschrift als Randbemerkung, in der sein Inhalt im Rahmen des Ganzen kurz angedeutet ist. Selbstverständlich werden die Artikel hierbei durch den ganzen Entwurf fortlaufend gezählt, und es geschah um des



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gleichen Zweckes willen, zum Behufe der leichteren Zitierbarkeit ganzer Abschnitte, dass auch die Titelzahlen durchlaufen und nicht mit jedem Teil, wie sonst üblich, neu beginnen.
Als Zweites wurde angestrebt, dass ein jeder Artikel für sich allein verständlich oder doch lesbar sei. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, Verweisungen so viel als möglich zu vermeiden. Und wo sie unumgänglich waren, sollten sie nicht durch Hinweis auf eine andere Artikelnummer erfolgen, sondern in einem deutlichen, den Inhalt der Verweisung angebenden Satze. Es war uns dabei lange fraglich, ob nicht, schliesslich doch dann jeweils die Artikel, auf die dergestalt verwiesen wird, in Klammer anzufügen seien, wie es z. B. in dem bernischen ZGB gehalten worden ist. Allein bis dahin haben wir dieses Verfahren unterlassen, und zwar aus der Überlegung, dass damit der Gesetzgeber eine Arbeit unternimmt, die seine Verantwortlichkeit übersteigt und die daher richtiger den Kommentaren, d. h. der Praxis und der Wissenschaft überlassen wird. Man hat die Erfahrung gemacht, dass solche Verweisungen in Klammern mit Artikelanführungen allzu häufig in der späteren Rechtsanwendung Schwierigkeiten bereiten, indem sie leicht Lücken enthalten oder Fehlgriffe aufweisen, die von der Praxis schwer vertragen werden. Vgl. z. B. Entscheidung des Bundesgerichts, Bd. XXII, S. 347.
Was drittens die Marginalien anbetrifft, so sind sie in dem Entwurfe als Bestandteil des Gesetzestextes gedacht, also nicht nur zur Erleichterung der Orientierung, sondern auch nötigenfalls zur Ergänzung oder Entlastung des Textes angefügt. Man sehe z. B. die Vorschriften betreffend die Handlungsfähigkeit. Der Ausdruck „natürliche Fähigkeit" (1) ist im Gesetzestexte zunächst nicht gebraucht. Aber er erscheint im Marginale und stellt derart das technische Wort fest, auf das die folgenden Artikel Bezug nehmen können.
In der Reihenfolge der Artikel für das einzelne Institut haben wir regelmässig die Ordnung befolgt, dass zunächst die allgemeinen Regeln über das Wesen desselben, dann die Vorschriften über Anfang und Ende oder Entstehung und Untergang und schliesslich diejenigen über die Wirkung aufgestellt worden sind. Es ergibt sich hieraus, und namentlich aus der Verbindung von Entstehung und Untergang, eine leichtere Übersichtlichkeit, die dann auch im System des Ganzen, z. B. bei der Verbindung von Eheschliessung und Ehescheidung, im Gegensatz zu den Wirkungen,
(1) Per Ausdruck „natürliche Fähigkeit" ist im ZGB ersetzt durch „Urteilsfähigkeit" (16 u. a.). Der Vorentwurf von 1896 enthielt bereits letztere Bezeichnung.



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der Ehe, wiederkehrt. Allein im einzelnen war die Durchführung dieses Gedankens dann doch wieder von der Ausgestaltung eines jeden Institutes abhängig, und hierfür wurde, wie schon oben bemerkt, nicht wissenschaftliche Vollständigkeit, sondern nur das Mass der für die Praxis wünschenswerten Vorschriften postuliert. So erklärt es sich, dass bei den ausführlicher gehaltenen Entstehungs- und Untergangsvorschriften aus jeder dieser Abteilungen eine selbständige Rubrik gemacht worden ist, während bei kürzerer Regelung sehr wohl beides unter die Gesamtbezeichnung „Anfang und Ende" oder dergleichen zusammengefasst werden konnte.
Begriffe, die wiederkehren, haben wir soviel als es uns sprachlich geboten erschien, immer wieder mit dem gleichen Ausdruck bezeichnet, möchten aber doch nicht aus einer etwa vorfindlichen Verschiedenheit des Ausdruckes absolut die Folgerung zulassen, dass auch etwas Verschiedenes gemeint sei. Häufiger vorkommende formelhafte Wendungen und Redensarten sind in dem gleichen Sinne, soviel als es uns erreichbar war, immer mit den gleichen Ausdrücken wiedergegeben. Die Praxis der bestehenden Gesetze hat genugsam gelehrt, in welche Verlegenheiten eine vom Gesetzgeber gar nicht beabsichtigte Abweichung in der Form solcher Wendungen den Richter bringen kann. So haben wir uns z. B. entschlossen, überall, wo von dem Ermessen des Richters die Rede ist, einfach auf dieses „Ermessen" zu verweisen, und weder von einem „freien", noch von einem „billigen" oder sonst irgendwie näher charakterisierten Ermessen zu reden. Ebenso in bezug auf die Heranziehung der „Bestimmungen" über irgend ein anderes Rechtsinstitut. Auch da kehrt stets die Wendung „steht unter den Vorschriften ..." wieder. Die Rücksicht auf die Übereinstimmung der Artikel in solchen Dingen hat dabei allerdings dann und wann zu monotonen Redewendungen geführt, die uns aber weniger bedenklich zu sein schienen, als eine Unsicherheit über die Meinung des Gesetzes. In einer andern Beziehung dagegen hat der Entwurf sich Freiheit gewahrt, indem wir darauf verzichteten, durch die Wahl unter verschiedenen synonymen Ausdrucksweisen zu bezeichnen, was als absolutes und was als dispositives Recht zu gelten habe, etwa „darf" für jenes, „kann" für dieses oder dergleichen. Hierzu hat uns die Beobachtung geführt, dass der Gesetzgeber kaum mit Vorteil der Praxis in dieser Auslegung jede Freiheit rauben würde. Die Ansichten können in bezug auf den Umfang der Freiheit und das Gebot der öffentlichen Sitte während der Lebensdauer des Gesetzes wechseln, und es wäre schwerlich zu empfehlen, den Gesetzestext so zu fassen, dass alsdann eine jede Anpassung der Praxis an solche Wandlungen ohne Abänderung



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des Gesetzes ausgeschlossen würde. Auch gleicht eine solche Übung eher einer Geheimsprache als einem richtig gefassten gesetzgeberischen Befehl. Wo der Gesetzgeber die absolute Geltung haben will, soll er es sagen. Sagt er es nicht, so entscheidet darüber der Geist der Zeit.
Endlich ist in bezug auf die Sprache noch auf zwei Momente zu verweisen. Das eine betrifft den Gebrauch von Fremdwörtern. Wenn der Entwurf sie auch möglichst zu vermeiden bestrebt ist, so hat er sich doch nicht dazu entschliessen können, sie ganz auszumerzen. Sie sind da beibehalten worden, wo es sich um eingebürgerte Lehnworte handelt, die sich gar nicht mehr aus dem Gebrauche verdrängen lassen. Wollte der Entwurf solche nicht aufnehmen, so würde er riskieren, sich damit nur von der allgemeinen Verkehrssprache abzusondern und einer nicht gebräuchlichen und daher auch nicht allgemein verständlichen Kunstsprache zu huldigen. Man denke an die Ausdrücke Patent, Fideikommiss, Kontrolle u. dgl. In anderer Richtung war es die Rücksicht auf die bereits in die Bundesgesetzgebung eingeführte Ausdrucksweise, was uns zur Beibehaltung des Fremdwortes bewogen hat, wie Retentionsrecht, Kollektiv- und Kommanditgesellschaft, Konkurs u. a. Endlich wurde das Fremdwort auch in einigen Fällen aus dem Grunde bevorzugt, weil es mit der Übersetzung besser in Einklang gebracht werden konnte, wie namentlich bei den Titeln und Überschriften, wo zugleich auch die grössere Kürze zu seiner Empfehlung in Betracht fallen durfte. So namentlich in bezug auf den Titel des Gesetzes: Zivilgesetzbuch. Wir hatten an „Bürgerliches Gesetzbuch" (die Ausdrucksweise von Aargau und im Deutschen Reiche) gedacht, allein sie klingt schlecht. Auch fällt für unsere Betrachtungsweise der Hauptgrund dahin, aus dem sich die deutsche Gesetzgebung von dem Ausdrucke „Zivil" abgewendet hat, nämlich die Vorstellung von einem Gegensatze von Zivil und Militär. Dann hat uns auch „Landrecht" vorgeschwebt. Allein diese Bezeichnung umfasst nach alter Überlieferung das gesamte kodifizierte Recht, namentlich auch das Strafrecht, und wir würden ungern darauf verzichten, diesen umfassenderen Namen für ein sehr wohl mögliches „Schweizerisches Landrecht" in solchem allgemeineren Sinne für die Zukunft in Bereitschaft zu behalten.
Was schliesslich die Übersetzung im allgemeinen anbelangt, so ist der Übereinstimmung der Texte eine viel grössere Aufmerksamkeit zugewendet worden als es sonst üblich und z. B. beim Obligationenrecht durchgeführt worden ist. Dennoch ist die wörtliche Übersetzung absichtlich nicht überall hergestellt worden, nämlich da nicht, wo sie sich aus sprachlichen Rücksichten nicht




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gut durchführen liess und an einer peinlichen Übereinstimmung nichts zu liegen schien. Vergleiche z. B. die Bestimmungen über die Anfechtung geschlossener Ehen, Art. 145 ff.(1) Im allgemeinen haben auch die Beratungen dieses Entwurfes uns die Wahrheit des oft angeführten Satzes bestätigt, dass der Zwang, für eine Übersetzung zu sorgen, die Genauigkeit der Ausdrucksweise zu fördern vermag. Man wird es auch nicht bestreiten können, dass im syntaktischen Aufbau die französische Sprache mit ihrer Klarheit und Einfachheit der deutschen als Gesetzessprache oft als Vorbild dienen kann. Allein was die einzelne Redeweise anbelangt, so haben wir die Erfahrung gemacht, dass das französische Sprachgenie gegen eine deutliche Bezeichnung der Begriffe als etwas selbstverständlichem sich oftmals sträubt, wo die kürzere Ausdrucksart für die deutsche Sprache einfach eine Ungenauigkeit bedeutet. In dieser Beziehung bestand die Übersetzungsarbeit dann vielfach in einem wechselseitigen Zu- und Nachgeben. Wo es möglich erschien, wurde der kurze Ausdruck, den das Französische verlangte, auch für den deutschen Text angenommen, so z. B. bei der Redensart „wer ein Interesse hat". Das deutsche Sprachgefühl würde hier eine nähere Bezeichnung postulieren: ein rechtliches, ein erhebliches, ein hinreichendes Interesse oder dergleichen. Die französische Sprache sagt einfach: tout intéressé. Hier mussten wir uns sagen, dass mit einem der genannten Beisätze eigentlich doch nichts für den Richter gewonnen sei. Er wird überhaupt nur die rechtlichen Beziehungen schützen, er wird nur das Erhebliche respektieren, nur das Hinreichende berücksichtigen. Also haben wir uns zu der blossen Nennung des „Interesses" auch im deutschen Texte entschlossen und uns rasch an diese kurze Ausdrucksweise gewöhnt. Ähnlich in zahlreichen weitern Fällen. In ebenso häufigen andern dagegen vermochten wir uns zu einer solchen Kürze aus materiellen Bedenken nicht zu entschliessen, und dann war es der französische Text, der sich mit einer ausführlicheren Redewendung abzufinden hatte, wenn man es nicht in einigen Fällen als ungefährlich passieren lassen zu dürfen glaubte, dass der Ausdruck in dem einen Texte nicht alle Bestandteile des andern wiedergebe. Im Sachenrechte und in einigen anderen Gebieten war der Übersetzung die Aufgabe gestellt, eine Reihe neuer Ausdrücke zu wählen oder sogar zu schaffen, mit denen die Rechtsbegriffe bezeichnet werden mussten, die der französischen Rechtssprache zur Zeit nicht oder nicht mehr bekannt sind. Wir werden ihrer in den bezüglichen Zusammenhängen Erwähnung tun.
(1) Vgl. ZGB 123  ff.



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Möglicherweise erfahren sie bei der Feststellung des italienischen Textes eine nochmalige Prüfung. Das schweizerische Recht muss hier vielfach dem französischen vorausgehen, und es darf wohl erwartet werden, dass diese Entwicklung in Frankreich selber eine gute Aufnahme finden wird.
2. In bezug auf das System des Entwurfes unterscheiden wir zwischen der systematischen Vollständigkeit und der Gliederung des Entwurfs. In ersterer Hinsicht liessen wir uns von dem Gedanken leiten, für den vorliegenden Stand der Arbeit eher zu viel als zu wenig in den Rahmen des Ganzen einzufügen. Denn einmal ist es leichter, nachträglich Abteilungen, zu deren Aufnahme man sich definitiv nicht zu entschliessen vermag, einfach auszuscheiden, als Übergangenes in einem späteren Zeitpunkt noch aufzunehmen. Sodann verschafft vielfach erst der Versuch, eine Materie im kodifizierten Rechte zu ordnen, ein zuverlässiges Urteil über das, was zu tun sei. Gewiss verdient es dann auch Beachtung, dass, je weiter das Gebiet reicht, für das ein Gesetzbuch Geltung haben soll, um so mehr es sich empfiehlt, in ihm die Institute in vollständiger Entwicklung zu ordnen, denn was an dem einen Orte nicht zur Verwendung kommen wird, das findet an einem andern freudige Aufnahme. Der grössere Reichtum des Gesetzes verleiht dem Werke eine grössere Liberalität und gestaltet es zu einer um so grösseren Quelle des allgemeinen Wohlbefindens. Man wird also weit weniger, als dies in den Grenzen eines Kantones der Fall sein mag, eine Einrichtung aus der Erwägung weglassen können, dass man ihrer ja doch nicht bedürfe.
Unter dem gleichen Gesichtspunkte fand auch die Frage der Berücksichtigung der bestehenden Bundesgesetze ihre Beantwortung. Man hat sie in den Rahmen des Systems hineingezogen, soweit es sich nicht um ganz spezielle Materien, wie Patentschutz, Markenschutz u. dgl. handelt. Wird für diese, vielleicht in Verbindung mit Gegenständen, die heute im Obligationenrecht geordnet sind, die Schaffung eines Codex von "Nebengesetzen des Zivilgesetzbuches" in Aussicht genommen, so sind dagegen die Bundesgesetze allgemeineren privatrechtlichen Inhaltes an passender Stelle dem Entwurfe einverleibt, und zwar ohne die Tendenz umfassender Umgestaltung, sondern nur mit den Abänderungen, die diese Einfügung als nötig erscheinen liess und die sich sonst bei diesem Anlasse dringend empfohlen haben. So ist dies geschehen mit dem Gesetz über die persönliche Handlungsfähigkeit, vom 22. Juni 1881, dem Gesetz betreffend die Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe, vom 24. Dezember 1874, den sachenrechtlichen Abschnitten des OR betreffend den Mobiliar-



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verkehr. Schwieriger dagegen war die Frage bei den mit dem öffentlichen Recht zusammenhängenden Materien. Hier wurde das Zwangsenteignungsrecht, nach dem Rate verschiedener kantonaler Vernehmlassungen und des Bundesgerichtes, ausgeschlossen und damit auch die Hereinziehung des Bundesgesetzes vom 1. Mai 1850 abgelehnt, wogegen Wasserrecht und Bergrecht in dem Entwurfe mitgeordnet worden sind,(1) namentlich aus der Erwägung, auf die die Vernehmlassungen von Zürich und Graubünden hingewiesen haben, dass der interkantonale Verkehr in diesen Materien dringend in einigem Umfange der einheitlichen Ordnung bedarf, während die nähere verwaltungsrechtliche Ausgestaltung derselben natürlich auch hier dem kantonalen Rechte vorbehalten werden muss. Im übrigen ist betr. die Stellung des Entwurfes zu den geltenden Bundesgesetzen und zu den Instituten, die dem kantonalen Rechte zugewiesen verbleiben, wie z. B. betreffend das Nachbarrecht, auf die Ausführungen bei den bezüglichen Abschnitten des Entwurfes selber zu verweisen.
Hat sich aus dem entwickelten Grundsatze und der Heranziehung der verschiedenen Materien namentlich im Familienrecht und im Sachenrecht eine Vermehrung der Rechtsinstitute ergeben, im Vergleich zu den kantonalen Kodifikationen, so konnte der Gefahr, dass hiermit das Gesetzbuch ins Monströse angewachsen wäre, dadurch begegnet werden, dass alle Institute, in ihrem übersichtlichen systematischen Rahmen, möglichst kurz, knapp und doch, wie wir hoffen, in hinreichender Ausführlichkeit geordnet worden sind. Es dürfte sich dies, wenn man den Inhalt der Vorlage im ganzen überblickt, als eine der eigentümlichsten äusseren Eigenschaften des Entwurfes bezeichnen lassen: Vollständigkeit und doch grosse Kürze. Und zwar nicht nur scheinbare Kürze, indem etwa, wie es bei anderen Gelegenheiten versucht worden ist, die kleine Gesamtzahl der Artikel durch deren Umfang wieder aufgewogen würde, sondern Kürze im einzelnen wie im ganzen. Wie sehr dadurch die Übersichtlichkeit und die Handlichkeit gewinnt, ist leicht erkennbar. Vergleicht man den Entwurf in dieser Beziehung in einem seiner Abschnitte mit irgend einem kantonalen Spezialgesetz, so wird man bald entdecken, dass die Volkstümlichkeit in der Vorlage mit anderen Mitteln als dort angestrebt ist: Nicht damit, dass der Gesetzgeber sich begnügt, einige Hauptbeziehungen mit breitem Behagen klarzulegen, sondern unter Ordnung der ganzen Materie nach einem rasch zu übersehenden Plane.
(1) Die Bundesversammlung hat sie ausgeschieden, s. unten.



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Der Gliederung des ganzen Entwurfes wurde selbstverständlich das moderne Privatrechtsystem zugrunde gelegt. Es konnte keine Rede davon sein, dass man sich dem Code Napoléon oder einem der älteren kantonalen Kodifikationswerke angeschlossen hätte. Was mit dem modernen System durch die Gesetzgebung von Zürich, von Aargau u. a. bereits bei uns eingeführt worden ist, durften wir nicht mehr verlassen. Alles Einzelne im Systeme der verschiedenen Teile werden wir bei der Darstellung der betreffenden Partien näher zu betrachten haben. Hier müssen uns nur noch zwei Fragen des Systems beschäftigen.
Die Frage der Reihenfolge der verschiedenen Teile ist für den Entwurf einigermassen präjudiziert durch den Umstand, dass das Obligationenrecht bereits erlassen ist und nicht unverändert dem das übrige Privatrecht umfassenden Gesetzbuch wird angeschlossen werden können. Welche Veränderungen dabei notwendig oder bei diesem Anlasse doch ratsam sind, darüber wird man sich erst nach der Feststellung des gegenwärtigen Entwurfes definitiv schlüssig machen können. Also bleibt das Obligationenrecht ein dem vorliegenden Entwurf sich anschmiegendes Stück und bildet den Schlussteil desselben. Allein auch unabhängig hiervon erscheint uns eine andere, als die sonst im System des Gemeinen Rechtes übliche Reihenfolge dem privaten Rechtsstoffe angemessen. Wir haben im Personenrecht und im Familienrecht die Ordnungen vor uns, die als Voraussetzung der Existenz aller Vermögensrechte betrachtet werden müssen. Allerdings beziehen sie sich auf alle Arten von Rechten, weshalb die herrschende Meinung umgekehrt verlangt, dass zuerst von diesen, den Vermögensrechten, und erst nachher von der Person und der Familie gesprochen werde. Allein es lässt sich überhaupt nicht als leitendes Prinzip in der Anordnung aufstellen, dass stets vom Bekannten zum Unbekannten fortgeschritten werden müsse. Denn das Gesetzbuch ist kein Lesebuch, sondern ein Nachschlagewerk, wo die erste Abteilung bereits die Existenz des Ganzen voraussetzen darf und muss, wie die letzte. Man darf jenen Gedanken also vollständig verlassen und nur die angemessene Ordnung der als bekannt vorauszusetzenden Teile ins Auge fassen. Rechtfertigen wir damit die Voranstellung der Grundlagen der ganzen privaten Rechtsordnung, Person und Familie, so ergibt sich ungezwungen als zweite Hauptabteilung das gesamte Vermögensrecht, in den beiden Teilen: Sachen- und Obligationenrecht. Das Erbrecht aber fügt sich in seinem engen Anschluss an die Familie dazwischen, als eine Fortsetzung der Ordnung der Grundlagen in bezug auf die Reihenfolge der Generationen. Die damit gewonnene Anordnung: Personen-, Familien-, Erb-, Sachen- und Obligationen-



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recht, schliesst sich auch der geschichtlichen Betrachtung am ungezwungensten an und wird der wissenschaftlichen Behandlung in ganz anderem Sinne als Grundlage für eine zusammenfassende Darstellung des Rechtsstoffes dienen können, als die jetzt in der Zivilistik vorherrschende Einteilung, die nicht ohne Grund schon dafür verantwortlich gemacht worden ist, wenn die Doktrin das Personen- und Familienrecht stiefmütterlich behandelt hat. Wir gewinnen mit den ersten drei Teilen die Partien, die, mit dem öffentlichen Rechte verwandt, die Voraussetzungen einer jeden privaten Ordnung darstellen. Die zwei letzten Teile dagegen bilden gewissermassen den Stoff und Inhalt dieser Ordnung, das Detail in betreff der Ausgestaltung der individuellen Rechtssphären. Privatrecht ist eben nicht nur die Ordnung der Vermögensrechte in ihrer an sich gegebenen Existenz, sondern zugleich auch die Schaffung der Möglichkeit der Existenz solcher Rechte durch die Bildung oder Anerkennung der Rechtssubjekte in ihrer ganzen, reichen Ausgestaltung.
Die zweite Frage betrifft die Bildung eines Allgemeinen Teiles. Wir haben sie verneint. Die Wissenschaft des modernen Privatrechtes und mit ihr das bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich hat sie umgekehrt bejaht. Wir glauben für unsere Verhältnisse richtig entschieden zu haben.
Zunächst darf daran erinnert werden, dass von den in der Schweiz geltenden kantonalen Gesetzbüchern nicht ein einziges einen solchen Allgemeinen Teil kennt. Und auf die Anfrage im Memorial vom 17. November 1893 haben nur zwei Stimmen sich für die Schaffung eines solchen ausgesprochen. Alle andern bekundeten eine gegenteilige Ansicht. Namentlich hat auch das Bundesgericht in seinem Gutachten vom 31. Oktober 1894 sich in diesem zweiten Sinne geäussert. Es scheint also zum mindesten kein praktisches Bedürfnis für die Schaffung eines allgemeinen Teiles obzuwalten. Ebensowenig aber empfiehlt sich diese gesetzgeberische Anordnung aus anderen Erwägungen. Nach der überlieferten Systematik wird dem Allgemeinen Teil die Ordnung der Rechtssubjekte, der Rechtsobjekte und der Entstehung, Aufhebung und des Inhaltes der Rechte im allgemeinen zugewiesen. Gegen diese logische Gliederung spricht, dass das Personenrecht damit zu einem Bestandteile des allgemeinen Teils gemacht und aus seiner anschaulichen Verbindung mit dem Familienrecht herausgenommen wird, ferner dass das Sachenrecht in die Lehre von den Sachen als Rechtsobjekten und von den Dinglichen Rechten zerlegt wird, während doch in bezug auf die Voraussetzungen der dinglichen Rechte an den Immobilien eine solche Scheidung entweder



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gar nicht durchgeführt oder nur mit dem Verlust der Anschaulichkeit der zusammengehörigen Verhältnisse erkauft werden kann. Es bleiben also nur die allgemeinen Vorschriften betreffend die Entstehung, den Untergang und den Inhalt der Rechte dem allgemeinen Teile in dem Sinne vorbehalten, dass man hier etwas zu ordnen vermöchte, was nicht in derselben Tragweite in anderem Rahmen besser gesagt würde. Und auch für diese Fragen scheint uns, aus einer andern Erwägung, die Bildung des Allgemeinen Teiles richtiger abgelehnt zu werden.
Es ist unzweifelhaft, dass in der genannten Richtung eine Summe von gemeinsamer Ordnung für alle Rechtsinstitute aufgestellt werden kann. Ebenso sicher aber auch dürfte es sein, dass für jedes einzelne Institut eben doch wieder besondere Vorschriften aufgestellt werden müssen: Für die Rechtsverhältnisse des Familienrechtes, des Sachenrechtes, des Obligationenrechtes, im ganzen und im einzelnen. Hat es nun einen guten Sinn, von jenen besonderen Vorschriften die allgemeinen zu trennen ? Das würde wohl zu bejahen sein, wenn jene immer wiederkehrenden Ordnungen für die einzelnen Institute eine gleichartige Bedeutung besässen. Allein gerade hiervon ist nicht zu reden. Wir entdecken vielmehr, dass die allgemeinen Vorschriften jeweils für eine bestimmte Art von Verhältnissen in besonderem Grade bedeutend sind, und dass sie bei anderen in ihrer Bedeutung zurücktreten oder wenigstens sich modifizieren. Man denke nur an den Irrtum. Ein solcher kann natürlich sowohl bei den familienrechtlichen als bei den sachenrechtlichen und obligationenrechtlichen Verhältnissen vorkommen. Es lässt sich also eine allgemeine Ordnung für den allgemeinen Teil herausschälen. Aber sobald man in die praktische Ordnung der Institute eintritt, so erkennt man, dass der Irrtum in den verschiedenen Gebieten ganz verschiedenartig funktioniert, dass man auch bei einer allgemeinen Lehre der besonderen Vorschriften für die einzelnen Institute doch nicht entbehren kann, dass man also mit der Bildung der allgemeinen Lehre das Gesetzbuch gar nicht vereinfacht, sondern kompliziert. So auch in anderen Fragen, betreffend den Einfluss der Zeit, die Befestigung und Umänderung der Rechtsverhältnisse und anderes, was in verschiedenem Umfange von der Wissenschaft in den Allgemeinen Teil gezogen worden ist.
Einfacher gestaltet sich die Sache, wenn die notwendige allgemeine Ordnung im Anschluss an das gerade vorwaltende Institut zur Darstellung gebracht wird, also eben da, wo sie für die praktische Anwendung ihren Hauptsitz hat. Bei den anderen Beziehungen aber kann alsdann auf jene Darstellung mit den Modifika-



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tionen verwiesen werden, die jeweils als geboten erscheinen. So kann in bezug auf den Irrtum die allgemeine Lehre im Obligationenrecht dargelegt und bei den anderen Gebieten einfach darauf Bezug genommen werden. Bei der Ersitzung oder Verjährung gestaltet sich dies ungezwungen in der Weise, dass für die einzelnen Institute die Voraussetzungen besonders dargestellt, das Gemeinsame aber, in bezug auf Berechnung der Fristen u. a., da, wo es namentlich praktisch ist, d. h. bei der Verjährung der obligatorischen Rechte, seine Ordnung erfährt, auf die bei den anderen Instituten verwiesen wird.
Freilich geht dabei dann doch eines verloren: Die allgemeinen Begriffsbestimmungen, die der Gesetzgeber voraussetzt, werden nicht dargestellt, der Gesetzgeber gibt im Gesetz darüber keine allgemeine Rechenschaft. Ist darin nun aber für das Gesetz ein Mangel zu erblicken? Wir möchten das verneinen, und zwar aus dem Grunde, den wir schon oben in anderem Zusammenhange hervorgehoben haben: weil diese allgemeinen Begriffsbestimmungen in den meisten, wenn nicht in allen Fällen gar nicht der Gesetzgebung, sondern der Wissenschaft angehören. Nur wo der Gesetzgeber es zur Beseitigung von Unklarheiten in der Doktrin und zur Hebung der lähmenden Einwirkung von Kontroversen für geboten erachtet, da wird er veranlasst sein, solche Bestimmungen zu erlassen. So wenn er sagt, was er in bezug auf Naturkräfte betreffend ihre Unterstellung unter das Fahrniseigentum als Recht anerkannt wissen will. Das kann er dann aber hier und in ähnlichen Fällen ebensogut bei der Anführung der bezüglichen Begriffe in ihrem Hauptanwendungsgebiet, Sachen- oder Obligationenrecht, als in einem allgemeinen Teile tun. Wo dagegen solche Erwägungen nicht Platz greifen, da kann man füglich die Feststellung der Begriffe der Wissenschaft oder dem allgemeinen Sprachgebrauch überlassen. Aus solchem Grunde halten wir es für unnötig, in dem Gesetze zu bestimmen, was Sachgesamtheiten oder was fungible Sachen seien (anders bei der Zugehör). Denn was auch der Gesetzgeber darüber sagen wollte, es würde doch Gefahr laufen, schon nach kurzer Zeit durch eine wissenschaftlich richtigere Umschreibung ausser Kraft gesetzt zu werden oder gegenüber einer neueren, richtigeren Erkenntnis eine lästige Fessel zu bilden. Und so in zahlreichen andern allgemeinen Fragen. Denn wenn man einmal mit dem Allgemeinen Teil in der Gesetzgebung anfängt, so ist das Ende nicht abzusehen.
Wenn wir oben sagten, dass die Rechtssätze der Gesetzgebung auf unmittelbare Anwendbarkeit gestellt sein müssen, so trifft gerade diese Erwägung zu für die Ablehnung der Bildung eines All-



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gemeinen Teiles. Hochzuhalten ist unstreitig das Bestreben, von den Vorschriften über das Einzelne immer weiter zum Allgemeinen fortzuschreiten, hochzuhalten die Vereinfachung der Gesetzgebung, die aus der Formulierung allgemeiner Regeln erzielt werden kann. Allein für die Gesetzgebung eben nur insoweit, als damit die Vorschrift fürs einzelne wirklich entbehrlich gemacht werden kann. Ist dies nicht der Fall, so bedeutet die allgemeine Regel nicht eine Vereinfachung oder Entlastung, sondern das Gegenteil. Für die Wissenschaft und für den Unterricht ist freilich die Verallgemeinerung unentbehrlich, es kann sich aus ihr eine Vertiefung ergeben, die für die Weiterentwicklung der Rechtsordnung von ganz hervorragender Bedeutung ist. Die Gesetzgebung dagegen darf die Gestaltung ihrer Vorschriften für die unmittelbare Brauchbarkeit in der Praxis niemals aus dem Auge verlieren. Und dies noch besonders für unsere Verhältnisse, da uns eine gleichmässige Schulung der Beamten, denen die Rechtspflege anvertraut ist, fehlt und die Gefahr einer allzu grossen Verallgemeinerung der Gesetzesanordnungen durch die Art der theoretischen Ausbildung nicht, wie anderswo, vermindert wird. Unsere volkstümlichen Gerichte verlangen nach unmittelbar praktischen Rechtsvorschriften.
Aus solchen Überlegungen wurde es vorgezogen, von der Bildung eines Allgemeinen Teiles Umgang zu nehmen.
IV. Allgemeine Grundsätze des Entwurfs. Die Ablehnung eines Allgemeinen Teils darf nun aber allerdings nicht in dem Sinne verstanden werden, als ob allgemeine Grundsätze in dem Gesetze fehlten oder überhaupt fehlen dürften. Umgekehrt erblicken wir in ihnen die eigentliche Lebenskraft des Werkes. Sie müssen dem Gesetzgeber vor Augen gestanden haben, wo er das Einzelne zu ordnen unternahm. Sie müssen in den innigen Zusammenhängen der Institute unter sich zu einem Ausdrucke gekommen sein, der das Einzelne lebendig zu machen versteht. Sie werden die Auslegung des Gesetzes leiten und für die Weiterentwicklung der Rechtsordnung eine führende Hand zu bieten vermögen. Sehen wir zu, was hierunter zu verstehen sei.
1. Das gesamte Privatrecht durchzieht der Gegensatz zwischen der zwingenden Ordnung und der freien Befugnis, sich die Rechtsverhältnisse nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Indem der Entwurf sich grundsätzlich auf den Boden der Freiheit stellt, versucht er einerseits gegenüber der Verschiedenartigkeit der kantonalen Rechte die Einführung der Einheit zu erleichtern, trifft aber anderseits damit eine Ordnung, der auch ohne Rücksicht auf jene erste Erwägung vor der überlieferten Gebundenheit der



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Vorzug gegeben werden muss, weil nur in ihr eine für unsere modernen Verhältnisse befriedigende Grundlage für die Rechtsentwicklung gefunden werden kann. Die Freiheit des Ehevertrages, die Erweiterung der Testierbefugnis, die freie Wahl unter verschiedenen Verpfändungsformen werden für die Gegenden, wo sie, wie in dem grösseren Teile der Schweiz, eine Neuerung bedeuten, die Fesseln beseitigen, die ein in engen genossenschaftlichen Verhältnissen erzeugtes Recht von früher her als zur Ordnung notwendig erachtet hat. Der politischen Freiheit wird eine bürgerliche des Verkehrs zur Seite treten. Es wird, zwar nicht ausgesprochen, aber tatsächlich in der Ordnung der Institute begründet, der Grundsatz Geltung bekommen, dass, soweit keine öffentlich- oder privatrechtlichen Schranken bestehen, in allen Zweigen des Zivilrechtes, im Familien- und Erbrecht, im Sachen- und Obligationenrecht, die Freiheit in der Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse anerkannt sein soll.
Allerdings hat diese Freiheit ihre Gefahren, und zwar nach zwei Richtungen. Einerseits für die Parteien selber, indem sie auf dem Boden der freien Vertragsschliessung auch für sie ungünstige Verträge zu schliessen vermögen. Bei der für das ganze folgende Leben gegebenen Wichtigkeit der Eheverträge und der Erbverträge, sowie der Verträge um oder über Liegenschaften darf man den Parteien daher wohl eine besondere Vorsicht empfehlen, die ihnen dadurch praktisch aufgenötigt wird, dass die Gültigkeit des Vertragsschlusses an die Beobachtung einer strengen Form geknüpft ist. Diese Schranke ist hier um so eher mit den übrigen Interessen verträglich, als es sich nicht um Verträge des täglichen Verkehrs handelt, sondern um Rechtsgeschäfte, die höchst selten zu wiederholtem Abschluss für eine und dieselbe Person gelangen werden. Einfache Schriftlichkeit könnte dabei für die Klassen, die sich der Feder zu bedienen pflegen, wohl genügen. Andere dagegen würden auch bei dieser leichteren Form doch auf die Hilfe kundigerer Personen angewiesen sein und dabei dann erst recht Gefahr laufen, übel beraten zu werden. Besser daher, man schreibe geradezu die öffentliche Beurkundung vor, als welche wir die Schriftlichkeit betrachten, die nach den Vorschriften der einzelnen kantonalen Rechte durch eine öffentliche Urkundsperson (Notar oder anderen Beamten) hergestellt wird. Es könnte nach dieser Richtung sehr wohl für den ganzen Entwurf der allgemeine Satz aufgestellt werden, dass alle Verträge des ehelichen Güterrechts, des Familiengüterrechts, des Erbrechts und betreffend dingliche Rechte an Grundstücken zu ihrer Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung bedürfen. Wenn statt dessen die Regel bei den ein-



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zelnen Instituten jeweils wiederholt ist, so erklärt sich dies aus der Erwägung, dass eben doch bei jeder der Arten noch besondere Vorschriften notwendig waren, die besser mit der Hauptregel verbunden worden sind.
Nach einer anderen Richtung erscheint die Freiheit der Vertragsschliessung den Dritten gefährlich, indem ihre Rechte durch unlautere Machenschaften ihrer Schuldner gekränkt werden können. Hier aber vermag die Publizität die wünschenswerte Hilfe zu bringen. Der Entwurf trifft hierzu verschiedene Veranstaltungen: Das Ehegutsregister,(1) das Handelsregister und das Grundbuch sind die hierfür vorgesehenen Organe. Gewisse Bestimmungen könnten dabei für die drei Hilfsmittel gemeinsam sein, man denke nur an die äussere Einrichtung, die Aufsicht, die Verantwortlichkeit, den Beginn der Publizitätswirkung. Allein im einzelnen ist die Bedeutung für jedes der Organe doch wieder verschieden. Die Publizität führt beim Ehegutsregister zur blossen Ungültigkeit Dritten gegenüber in betreff der nicht eingetragenen Verträge, die aber doch, auch wenn sie nicht eingetragen sind, unter den Parteien Eheverträge sind. Im Handelsregister kann die Wirkung der Eintragung in der Regel durch eine andere Kundgebung ersetzt werden. Im Grundbuch verbindet sich mit den Eintragungen eine formale Wirkung, insofern sie denjenigen gegenüber, die sich in gutem Glauben darauf verlassen, positiv als zu Recht bestehend angenommen werden. Negativ aber, d. h. ohne Eintrag, kann überhaupt keine dingliche Wirkung entstehen, sondern nur ein Recht auf Eintragung gegen die andere Partei geschaffen werden. Man ersieht auch daraus, dass es keinen Sinn hätte, nach den angedeuteten Richtungen gemeinsame Bestimmungen zu erlassen, da ja doch in der Hauptsache die Ordnung für jedes Institut besonders getroffen werden muss.
Wird durch solche Ordnungen die Freiheit mit der allgemeinen Wohlfahrt verträglich gemacht, so erwahrt sich auch hier die alte Lehre, dass die Form die Mutter oder, wie man gesagt hat "die Zwillingsschwester" der Freiheit ist.
2. Im weitern ist es ein allgemeiner Grundsatz des Entwurfes, dass ein jedes berechtigte Interesse rechtlichen Schutz erfahren soll durch Anerkennung des bezüglichen Rechtsverhältnisses, auch wo die Überlieferung, wie betreffend die Zulassung gewisser Dienstbarkeiten, engere Schranken gezogen hat, sowie dadurch, dass gegenüber den Anordnungen der Verwaltung die richterliche Hilfe angerufen werden kann. Diese Hilfe hat nament-
(1) Das Güterrechtsregister des ZGB.



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lich in den familienrechtlichen Beziehungen eine grössere Ausdehnung erfahren. Im Eherecht sollen die Beteiligten vor den Richter gelangen können in Fragen, wo dies ihnen nach den geltenden Rechten zumeist verschlossen ist. Ebenso im Elternrecht, in der Vormundschaft und nicht minder in den nachbarrechtlichen Verhältnissen und in den Rechtsbeziehungen zur öffentlichen Sache. Auch da wäre es angegangen, von einem allgemeinen Prinzipe zu sprechen. Seine Ausführung aber hätte der Grundsatz doch wieder bei den einzelnen Fragen erfahren müssen. Nur in wenigen Beziehungen konnte, in Verbindung mit der Ordnung des Rechtes der Persönlichkeit, dann doch eine Regel aufgestellt werden, die den Rechtsschutz nach einer bestimmten Richtung in allgemeiner Grundsätzlichkeit ausspricht, in bezug auf die Ehe (Art. 192) (1) und in bezug auf die Persönlichkeitsrechte (Art. 26). (2)
3.     Ein ebenso allgemeiner Grundsatz ist ferner die Anerkennung von Treu und Glauben oder die Auslegung der rechtlichen Beziehungen in guten Treuen. Wenngleich der Hauptsitz dieser Regel der Natur der Sache nach im Obligationenrecht zu suchen ist, so zeigen sich zahlreiche Anwendungen doch auch in den andern Rechtsgebieten. Man vergegenwärtige sich das Grundbuchrecht, den Rechtsschutz, der mit dem Besitze verliehen wird, die Ausmessung der Entschädigungspflicht bei den nicht auf richtiger Rechtsgrundlage sich vollziehenden Veränderungen am Gegenstande des Eigentums, die Folgen des Mangels an Treue im Familienrechte, bei der Verlobung, im Ehebande u. a. m. Es soll ganz allgemein Rechtsschutz nur insoweit bestehen, als dies nach Treu und Glauben im Verkehr von jedermann erwartet werden kann. Diese Regel findet sich im Entwurfe überall ausnahmslos den einzelnen Instituten angefügt. Allgemeiner Natur ist hier z. B. die oftmals wiederkehrende Formel, dass bei Verletzung von Treu und Glauben unter Umständen auch abgesehen von einem Vermögensschaden dem Verletzten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zugesprochen werden könne.(3)
4.     Damit steht die häufige Anweisung an den Richter, nach seinem Ermessen zu urteilen, in engem Zusammenhang. Zwar liegt darin zunächst eine Anweisung nach anderer Richtung: Der Richter soll nicht durch allfällige Beweistheorien des kantonalen Rechtes gebunden, nicht durch solche daran verhindert werden,
(1) Vgl. ZGB 169, wo jedoch angefügt ist, dass die erforderlichen Massregeln „vom Gesetz vorgesehen" sein sollen. (2) Vgl. ZGB 28. (3) Vgl. ZGB 2, Abs. 1, wo nun das „Handeln nach Treu und Glauben" als allgemeiner Rechtssatz ausgesprochen ist.



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das als erwiesen zu betrachten, was nach seiner Überzeugung als erwiesen gelten kann. Allein die Tragweite des Satzes reicht weiter. Man will damit auch die Fälle treffen, wo überhaupt von einem Beweise nicht mehr die Rede ist, sondern eine unklare und unabgeklärte Sachlage nach einer Entscheidung durch den Richter verlangt. Da haben wir die Folge, dass mit dem Verharren des Richters bei den Grundsätzen der Beweislast aus Mangel an Beweis unter Umständen ein Resultat herbeigeführt würde, das aller billigen Beurteilung Hohn spricht. Und es ist nicht Willkür, sondern die Spur eines vollkommeneren Rechtes, wenn alsdann nicht nach den Folgen aus der Beweislast, sondern nach demjenigen, was nach aller Wahrscheinlichkeit dem Verhältnis in Wirklichkeit zugrunde liegt, das Urteil ausgefällt wird. Das Hauptanwendungsgebiet dieses freien Ermessens liegt in den Fällen des Obligationenrechtes bei der Ausmessung der Schadenersatzpflicht und des Schadensbetrages. Allein es zeigt sich das gleiche auch im ehelichen Güterrecht, im Ehevertrag, selbst im Sachenrecht, z. B. bei den Sachverbindungen. Gewiss wäre es möglich, darüber einen allgemeinen Satz aufzustellen. Der Gesetzgeber lässt ihn unausgesprochen, indem er es als Aufgabe der Wissenschaft, und Praxis betrachtet, dem Grundgedanken für jede Zeit und jede Beziehung allmählich jene feste Gestalt zu geben, die, schmiegsam und doch bestimmt genug, die Anerkennung dieses Ermessens auch in den Augen derer als eine Wohltat erscheinen lassen wird, die heute noch die Gefahr einer willkürlichen Rechtsprechung darin erblicken. (1)
5. Allgemeine Grundsätze durchziehen dann endlich auch die einzelnen Rechtsinstitute aus den verschiedenen Gebieten in ihrer näheren Ausgestaltung. So nennen wir als Beispiel die Gemeinschaft. In ihr liegt ein Gebilde, das in eigentümlicher Weise zwischen der Einzelperson und der Kollektivpersönlichkeit der Körperschaft steht, ein Verhältnis, in dem das Individuum seine Interessen mit denen anderer verkettet, um fortan nicht nur für sich selber, sondern mit der eigenen Sorge zugleich auch für andere besorgt zu sein. Der Gegensatz von Egoismus und Altruismus gibt den Gedanken nicht gut, namentlich rechtlich nicht zutreffend wieder. Denn in der Gemeinschaft steckt nicht die Sorge für andere allein, sondern die Sorge für ein Höheres, das die eigene Person mit umfasst. Solche Gemeinschaften finden wir auf allen Gebieten des Privatrechtes: Im Familienrecht, im Erbrecht, im Sachenrecht, im Obligationenrecht, und überall zeigt sich der gleiche
(1) Vgl. ZGB 4, wo sich die allgemeine Regel ausgesprochen findet.



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Typus, den Verhältnissen des Falles näher angepasst. Man vermöchte sehr wohl, neben das Individuum und die juristische Person noch in einem allgemeinen Teil die Ordnung dieser Gemeinschaft zu stellen, in bezug auf die Gebundenheit der Teilhaber, die gemeinsame Verfügung, die Verwaltung und Dispositionsbefugnis, die Haftung, die Vertretung, die Freiheit der Ausscheidung oder die Gebundenheit u. a. Aber auch hier ist zu sagen, dass für die Rechtsordnung der eigentliche Sitz des Institutes doch das Gebiet ist, dem jede Gemeinschaft nach ihrer materiellen Existenz angehört. Mögen sie auch im einzelnen übereinstimmen, es erscheint doch als die natürlichere Regelung, wenn wir ihre Ordnung in die einzelnen Gebiete verlegen und mithin von der ehelichen, der Familien-, der elterlichen Gemeinschaft, der Erbengemeinschaft, der Gemeinschaft der Gesamteigentümer usw. jeweils besonders sprechen. Auch hier wird es dann der Wissenschaft überlassen bleiben, in ihrer Darstellung das Gemeinsame zum Bewusstsein und zur weitern Entwicklung zu bringen.
Mit solcher Betrachtung liesse sich noch manches Moment hervorkehren, wo der Gesetzgebung gemeinsame Gedanken vorgeschwebt haben, und wo von einer gemeinsamen zusammenfassenden Regelung sehr wohl die Rede sein könnte. Indem dieses alles in die einzelnen Abschnitte verwiesen wird, ist auch in dieser Richtung auf den Allgemeinen Teil der Form nach Verzicht geleistet, während er selbstverständlich in der Doktrin und im Unterricht bei uns wie anderswo die grösste Bedeutung behalten muss.
Man hat nun freilich schon die Ansicht ausgesprochen, dass eine Hervorkehrung des Gemeinsamen für unsere Verhältnisse doch aus dem Grunde besonders wünschenswert wäre, weil wir unser Recht auf der divergierenden Grundlage der französischen und der deutschen Doktrin aufzubauen haben. Man denke nur an die verschiedene Auffassung von der Richterstellung in den romanischen Gebieten und in unseren deutschen Kantonen, an die Verschiedenheit in der Auffassung der persönlichen Freiheit und gar vieler einzelner Rechtsverhältnisse. Allein so sehr auch diese Ansicht im Recht ist, wenn sie jenem Gegensatze eine grosse Bedeutung beimisst, so wenig könnten wir doch hoffen, durch einige allgemeine Gesetzesvorschriften jene Kluft auszufüllen. Gerade weil hier, und in so vielen Dingen, die in der Doktrin ausgebildeten allgemeinen Prinzipien auseinander gehen, lässt sich nicht darauf rechnen, dass ein Machtspruch des Gesetzgebers sie zusammenfügen würde. Vielmehr wird, was als nötig erscheint, zunächst eben in bezug und in enger Hinsicht auf die einzelnen Rechtsinstitute



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ausgesprochen werden müssen, und erst aus der Zusammengewöhnung an das Detail des gemeinsamen Rechtes wird allmählich dann auch die gemeinsame Rechtsauffassung in den Grundfragen herauswachsen. Was die Doktrin gebildet hat, vermag die Doktrin auch wieder zu ändern. Hier vornehmlich folgt die Rechtsüberzeugung dem Gesetze und nicht umgekehrt. Und gerade in diesen allgemeinen Fragen darf man dies um so zuversichtlicher hoffen, als die Rechtsauffassung des Volkes im Kleide der verschiedenen Sprachen im Grunde doch weit mehr gemeinsam ist, als dies nach dem theoretischen Ausdruck, der ihr zu teil geworden, im allgemeinen vermutet werden sollte.
V. Die Einleitung. Was wir unter dem Allgemeinen Teil verstanden und für den Entwurf abgelehnt haben, betraf überall eine Zusammenstellung allgemeiner Vorschriften, die für alle besonderen Teile als Ergänzung oder Erläuterung zu dienen bestimmt wäre. Hiervon sind nun aber die Bestimmungen zu unterscheiden, mit denen neben allem Inhalt des Gesetzes seine Anwendbarkeit an sich und im Verhältnis zu anderen Rechtsquellen festgestellt werden soll. Vorschriften solcher Art sind stets den Kodifikationen auf den Weg mitgegeben worden, sei es im Gesetze selber, sei es in den Übergangsbestimmungen oder in Promulgationsordnungen, und von den kantonalen Vernehmlassungen zum Memoriale von 1893 hat Genf hierfür sogar einen detaillierten Vorschlag gemacht. Man wird sich auch in der Tat ein so umfassendes Gesetzeswerk schwer denken können ohne derartige, seine Anwendung leitende und anordnende Vorschriften.
In erster Linie handelt es sich dabei um die Inkraftsetzung des Gesetzbuches selber und um die Umschreibung seines Verhältnisses zu den ergänzenden Rechtsquellen desselben Staatsgebietes. Dies erfolgt, soweit es sich um das Inkraftsetzen der neuen Quelle selber und um die Ordnung des Verhältnisses zu andern, fortbestehenden Quellen handelt, am richtigsten durch die Einführungs- und Übergangsbestimmungen. Soweit aber die Prinzipien des Gesetzbuches als kodifizierten Rechtes, seine Ergänzungsfähigkeit oder -bedürftigkeit in Frage kommen, handelt es sich um Grundsätze, die am richtigsten an den Anfang gestellt werden. Daraus ergibt sich eine Eröffnung des Ganzen, eine allgemeine Einleitung, die angibt, auf welche Geltung das folgende Gesetz grundsätzlich Anspruch macht. In diesem Sinne haben auch die bestehenden Gesetzbücher, namentlich der Code civil und seine Nachahmungen, eine Anzahl einleitender Vorschriften aufgestellt (s. Schweiz. Privatr. I. S. 62 f., 65 f.).



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In zweiter Linie kann die Auseinandersetzung mit den Rechtsquellen, die durch das neue Recht beseitigt werden sollen, oder die anderen Staatsgebieten angehören, in Frage kommen, oder also die Abgrenzung des Anwendungsgebietes des Gesetzbuches in zeitlicher und örtlicher Hinsicht, das intertemporale und internationale Privatrecht. Die Regelung der beiden Beziehungen lässt sich verschieden denken. Entweder man ordnet das Verhältnis für die Gesetzgebung im allgemeinen, setzt also fest, nach welchen Grundsätzen überhaupt die Gesetze des Staates mit den aufgehobenen desselben Gebietes oder mit den geltenden eines anderen Gebietes konkurrieren sollen. Dann wird nicht davon die Rede sein können oder wenigstens eine engere Notwendigkeit nicht vorliegen, diese Ordnung überhaupt mit dem Gesetzbuche selber zu verbinden. Oder aber jene Ordnung wird speziell für das vorliegende Gesetz getroffen, und dann empfiehlt es sich offenbar, sie mit dem Gesetzbuche enger zu verknüpfen.
Von der ersteren Auffassung aus hat bis jetzt eine Ordnung des intertemporalen Rechtes im allgemeinen durch ein besonderes Gesetz noch nirgends stattgefunden. Auch für uns ist eine solche Anregung von keiner Seite gemacht worden. Der Gesetzgeber erachtet es vielmehr als eine Frage der Einführung des einzelnen Gesetzes, wäre es auch einer ganzen Kodifikation, festzustellen, in welcher Weise das neue Recht mit dem alten konkurrieren oder die rückwirkende Kraft umschrieben sein soll. Freilich werden solche Bestimmungen, wenn sie für das umfassende Werk einer Kodifikation aufgestellt sind, von selbst auch für andere Erlasse, Spezial- oder Nebengesetze, Bedeutung gewinnen. Das ändert aber nichts daran, dass an und für sich die Vorschriften über die zeitliche Herrschaft des Gesetzes nur für das eben vorliegende kodifizierte Recht aufgestellt sind. So aufgefasst, weisen diese Vorschriften alsdann eine Eigentümlichkeit auf: Sie sind dazu verurteilt, von selbst, ihrem Inhalte gemäss, nach einer gewissen Zeit ihre Anwendungsmöglichkeit vollständig zu verlieren, nämlich sobald das Gesetz lange genug bestanden hat, um eine Fortdauer von Rechtsverhältnissen, die unter dem früheren Rechte entstanden sind, der Hauptsache nach als ausgeschlossen erscheinen zu lassen. Eine Vorschrift um die andere verliert alsdann im Laufe der Zeit ihre Anwendbarkeit. Aus diesem Grund hat es keinen rechten Sinn, Bestimmungen dieses Charakters in das Gesetz selber aufzunehmen. Sie bilden, wo sie sich etwa in den Gesetzbüchern finden, nach zwei bis drei Generationen blosse tote Nummern. Ihren richtigen Platz haben sie entweder in den Promulgationserlassen oder in den eigenen Abschnitten der Einführungs- und Übergangs-



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bestimmungen. An letztern Ort hat sie auch der Entwurf verwiesen.
Anders nun aber bei den Vorschriften des internationalen Rechtes. Auch wenn diese nicht im allgemeinen, sondern für das Gesetzbuch speziell erlassen sind, kommt ihnen doch eine immerwährende Bedeutung zu. Sie begleiten das Gesetz auf seiner ganzen Lebensdauer, sie haben Bestand, solange es selber besteht. Aus diesem Grunde verbinden sie sich ganz anders mit dem Gesetze und dürfen auch innerlich in eine andere Beziehung zu ihm gebracht werden.
Zwei Wege sind dabei möglich. Entweder wird die gesamte internationale Ordnung in ein Nebengesetz oder doch in ein besonderes Kapitel gewiesen, oder man verbindet sie mit den einzelnen Instituten. Auf ersterem Wege kommt das Prinzipielle der Regelung zu besserer Anschauung und gewinnt die Orientierung für den Ausländer offenbar an Leichtigkeit. Auch wird man eher die Bestimmungen zusammenfassen können und, wenn es zu einer internationalen Übereinkunft in diesen Fragen kommen sollte (1), dieselbe leichter dem einheimischen Rechte einfügen. Aus diesem Grunde erklärt es sich, dass namentlich die Fachmänner des internationalen Rechtes und die Beamten, die ganz besonders zu dessen Handhabung berufen sind, wie die diplomatischen Vertreter im Auslande, vorwiegend für diesen Weg sich aussprechen und auch in ihren Eingaben zum Entwurfe ein solches Vorgehen empfohlen haben. Der zweite Weg bietet den Vorzug, dass sich die Ordnung für die internationale Rechtsanwendung enger an das im Inlande geltende Recht anschmiegt, dass der einheimischen Rechtsanwendung ihre Aufgabe erleichtert wird, dass sich die Vorschrift über die Rechtsanwendung betreffend Schweizer im Auslande oder Ausländer in der Schweiz der Ordnung der einzelnen Rechtsinstitute mit Hinsicht auf eine jede einzelne Rechtsvorschrift unmittelbar anzuschliessen vermag. So tritt uns dies vornehmlich entgegen in bezug auf die Eheschliessung, das eheliche Güterrecht, das Vormundschaftswesen, die letztwilligen Verfügungen. Bei dem erstem Vorgehen werden die Bestimmungen der internationalen Rechtsanwendung von der Ordnung der Rechtsinstitute selber abgetrennt, bei dem letzteren erscheinen sie im Gesetze selber zerstreut, mit den materiellrechtlichen Vorschriften enge verbunden.
Bei solchen Gründen und Gegengründen hat der Entwurf sich
(1) Wie es nunmehr in den internationalen Konventionen betreffend Eheschliessung, Ehescheidung und Vormundschaft von 1902 geschehen ist.




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schliesslich von dem Gedanken leiten lassen, dass es sich zurzeit ausschliesslich um die Herstellung eines Entwurfes für ein schweizerisches Zivilgesetzbuch handelt. Man begehrt von uns keine Kodifikation des internationalen Privatrechts. Aber man erwartet, dass wir das schweizerische Zivilgesetzbuch auch insofern vollständig entwerfen, als dessen Anwendbarkeit auf Schweizer im Auslande und Ausländer in der Schweiz in Frage steht. Aus dieser Überlegung haben wir die Ordnung ganz vom schweizerischen Standpunkte aus oder für die Rechtsanwendung durch den schweizerischen Richter getroffen, und daraus ergab es sich, dass wir den einzelnen Instituten des Personen-, Familien- und Erbrechtes jeweils an passender Stelle gleich noch die Vorschrift für die internationale Rechtsanwendung beifügen mussten. Nun konnte damit aber unmöglich die Frage der internationalen Rechtsanwendung überhaupt grundsätzlich und allgemein geregelt werden, und so gelangten wir dazu, auch noch einige allgemeine Vorschriften aufzustellen, die überall da zur Anwendung zu kommen hätten, wo bei den einzelnen Instituten nichts besonderes bestimmt würde. Diese allgemeinen Bestimmungen über die internationale Rechtsanwendung versuchten wir zuerst in der Einleitung den Regeln über die Geltung des Zivilgesetzbuches im allgemeinen anzugliedern. Allein es ergab sich daraus eine gewisse Disharmonie in dem Inhalt der Einleitung, da diese das Gesetz im allgemeinen umfasst, während mit den Vorschriften des internationalen Rechtes, auch wo sie allgemeinen Charakters sind, doch nur für die einzelnen Teile des Gesetzes (Familien-, Erbrecht, Sachenrecht) gewisse Anleitungen aufgestellt werden wollen. Aus diesem Grunde entschlossen wir uns, die Vorschriften für die internationale Rechtsanwendung, soweit sie, weil allgemeineren Inhalts, nicht einfach den einzelnen Abschnitten des materiellen Rechtes angefügt werden können, in den Schlusstitel zu
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Beilage). Will man statt dessen ein besonderes Gesetz erlassen, oder dasjenige über die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter vom 25. Juni 1891 dem einheitlichen Privatrechte anpassen, so ist die Ausscheidung der Materie aus dem Entwurfe leicht durchzuführen. (1)
Für das internationale Recht nimmt der Schlusstitel hierbei eine Ordnung in Aussicht, die mit den Grundsätzen des zitierten
(1) Die Grosse Expertenkommission hat die den einzelnen Instituten angefügten Vorschriften des internationalen Rechts nicht beraten. Im Entwurf des Bundesrates bilden sie mit den Bestimmungen des Schlusstitels des Vorent-



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Bundesgesetzes vom 25. Juni 1891 übereinstimmt. Grundlage bildet im Personen-, Familien- und Erbrecht das Domizilprinzip. Nur eines schien uns dabei einer Reform bedürftig. Wenn wir nämlich die Ausländer, sobald sie bei uns domiziliert sind, unter das schweizerische Recht stellen, entfernen wir uns in empfindlicher Weise von den jetzt herrschend gewordenen Anschauungen über die internationale Rechtsanwendung nach dem Prinzip der Nationalität. Dieses aufzunehmen aber widerrät uns der öffentlichrechtliche Grundsatz, dem wir huldigen, dass Ausländer regelmässig nur auf Grund eines freien Vertrages durch Einkauf in eine Gemeinde das Schweizerbürgerrecht erwerben, infolgedessen denn auch auf Generationen hinaus, trotz fortwährendem Wohnsitz in der Schweiz, zumeist Ausländer bleiben. Diesem Zwiespalt gegenüber versucht Ziffer II des ersten Abschnittes des Schl.t. des VorE den Ausgleich zu treffen, dass zwar das Domizilprinzip festgehalten wird, allein nur in bezug auf Ausländer, die in anderen Staaten bereits zu den Inländern gerechnet werden oder wenigstens unschwer Inländer werden können, nämlich in bezug auf solche Ausländer, die entweder seit ihrer Geburt oder seit zehn Jahren ohne Unterbruch ihren Wohnsitz in der Schweiz gehabt haben. Die anderen Ausländer dagegen würden nach dem Rechte beurteilt, dem sie nach den Vorschriften ihrer Heimat unterstellt sind. Damit wäre für die Fälle, die den schweizerischen Gesetzgeber namentlich zur Ablehnung des Nationalitätsprinzipes bewogen haben, das Domizilprinzip gewahrt, während für die Fälle, wo das Ausland vornehmlich auf die Beobachtung des Nationalitätsprinzipes Wert legt, dieses Prinzip Anerkennung finden könnte. Alle übrigen Bestimmungen des Schlusstitels haben wir in anderem Zusammenhange zu besprechen.
So bleibt uns denn für die Einleitung nur die Aufstellung jener Grundsätze, die wir als leitende Gedanken für die Festsetzung des Verhältnisses des Gesetzbuches zur Rechtsanwendung im allgemeinen ausgesprochen wissen möchten. Und als solche betrachten wir: Die grundsätzliche Ordnung des Verhältnisses zu den Rechtsquellen, die neben der Bundesgesetzgebung für das Bundesgebiet zur Anwendung kommen, sodann die Feststellung der Beziehung des Bundesrechtes zum kantonalen
wurfs den ersten Abschnitt des Schl.t. Die Bundesversammlung hat diesen Abschnitt völlig gestrichen, namentlich im Hinblick auf die in Aussicht stellenden internationalen Konventionen. Sonach ist das zitierte Gesetz von 1891 in Kraft geblieben, mit den Ergänzungen, die im ZGB, Schl.t. Art. 59, aufgenommen sind. In Beilage I zu diesem Bande ist der betr. Abschnitt abgedruckt.



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Recht und endlich die Stellung des schweizerischen Rechtes zum Rechte anderer Länder. (1)
1. Nach unserer Auffassung des Staates und seines Gesetzgebungsrechtes kann es neben der Bundesgesetzgebung keine andere, konkurrierende Quelle positiven Bundesgesetzesrechtes geben. Keine lokalen Kreise im Bunde können anstatt des Bundesgesetzgebers Bundesgesetze erlassen. Es gibt keinen andern Ursprung von Bundesgesetzen, als die gesetzgebende Gewalt des Bundes. Anders dagegen, wenn die Frage so gestellt wird, ob es nicht, neben dem Bundesrecht in Gestalt der Gesetzgebung, ein anderes, ein Gewohnheitsrecht als Bundesrecht geben könne. Ausschliesslichkeit der Gesetzgebungshoheit ist durchaus nicht gleichbedeutend mit Ausschliesslichkeit des Gesetzesrechtes, und vollends will das kodifizierte Recht niemals in dem Sinne alles Recht umfassen, dass es neben ihm kein weiteres Recht geben könnte. Das ersehen wir ja schon aus dem Bestande von Spezialgesetzen. Das System der Kodifikation ist nur in dem Sinne vollständig, als es alles gesetzte Recht aufnehmen kann, nicht aber, dass jedes andere Recht dadurch ausgeschlossen werden soll. Wenn auf Grund älterer Theorien die Auffassung entwickelt wird, die Kodifikation schaffe lückenloses Recht und enthalte für alles die notwendigen Bestimmungen nach ihrem Sinn und Geist, so ist die Kodifikation mit der Rechtsordnung überhaupt verwechselt worden. Lückenlos ist allerdings nach unserer Idee die Rechtsordnung an sich. Kein Richter darf das Urteil verweigern, indem er sich auf eine Lücke in der Rechtsordnung beruft. Allein die Kodifikation kann sehr wohl Lücken, wird solche sogar regelmässig in grosser Zahl aufweisen. Wer diesen Unterschied beachtet, kann darüber nicht zweifelhaft bleiben, dass neben dem kodifizierten Rechte noch andere Rechtsquellen Bestand nicht nur haben können, sondern eigentlich haben müssen, insofern tatsächlich die Kodifikation der Ergänzung bedarf, die doch von irgendwo hergenommen werden muss.
Sonach gelangen wir zu dem Resultate, dass in erster Linie das gesetzte Recht zur Anwendung gebracht werden muss. Und zwar nicht nur soweit sein Wortlaut unmittelbar reicht, sondern auch soweit es in irgend einer Art von Auslegung oder auf dem Wege der Analogie herangezogen werden kann. Darauf ver-
(1) Nachdem die Ordnung des internationalen Rechtes vollständig in den Schlusstitel verwiesen war, haben dafür in die Einleitung weitere Bestimmungen allgemeiner Bedeutung Aufnahme gefunden. Siehe oben S. 11, Anm. 2, u. S. 29, Anm. 1, sodann ZGB 7 betr. Anwendung der allgemeinen Bestimmungen des OR, und Art. 8 bis 10 betr. Beweislast, Beweiskraft und Verbot der Aufstellung absoluter Regeln betr. Beweisbarkeit.



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weist zunächst Abs. 1 des Art. 1. Wo aber das gesetzte Recht mangelt, da darf im Rahmen der staatlichen Gesetzgebungshoheit, also im Rechtsgebiet des gesetzten Rechtes, das tatsächlich geübte Recht nicht ignoriert werden. Hat die Gesetzgebung es tatsächlich, durch Aufstellung eigener Regeln, nicht ausgeschlossen, hat also die Staatshoheit es unterlassen, objektives Recht zu setzen in Fragen, die tatsächlich der objektiven Ordnung bedürftig und teilhaftig sind, so würde sie sich in Widerspruch mit sich selber setzen, wenn sie diesem geübten Rechte die Anerkennung verweigern wollte. Sie vermöchte die Verweigerung auch nicht anders auszusprechen, als dadurch, dass sie gesetztes Recht an die Stelle des tatsächlich geübten stellte. Diesem in der Natur der Sache liegenden Verhältnis gibt sie Ausdruck, indem sie es anerkennt, dass, soweit das gesetzte Recht nicht reicht, das geübte treten soll, Abs. 2 des Art. 1. Was dabei als Gewohnheitsrecht anzuerkennen sei, hat die Gesetzgebung nicht zu umschreiben. Das ist Sache der Wissenschaft und der Praxis, sie sollen dafür sorgen, dass diese Umschreibung mit der erforderlichen Klarheit gewonnen werden könne. Freilich kommt hierzu dann die weitere Frage, inwieweit gesetztes Recht durch Nichtübung beseitigt und durch Gewohnheitsrecht ersetzt werden könne. Allein auch darüber braucht die Gesetzgebung nichts zu bestimmen. Sollte eine solche Beseitigung tatsächlich und ohne die Grundlage irgend einer gesetzlichen Sanktion einmal eintreten, so würde das Geschehnis mit seiner Verwirklichung auch seine Anerkennung gefunden haben, so dass eine Berücksichtigung dieses Falles im Gesetze durchaus nicht nötig ist. Nur in zwei Beziehungen können Zweifel entstehen, denen besser von vornherein durch besondere Bestimmungen begegnet wird. Wenn nämlich zur Ergänzung eines bundesgesetzlichen Satzes oder zu dessen Erläuterung ein Gewohnheitsrecht sich bildet, so soll es als Bundesrecht anerkannt werden. Und wenn eine Gewohnheit gegen das Gesetz sich in einem Teile des Rechtsgebietes unter Verdrängung des gesetzten Rechtes auszubilden vermöchte, so wäre in einem solchen Falle das Gesetz ausdrücklich zu schützen oder also die lokale Gewohnheit nicht anzuerkennen. Diese beiden Bestimmungen sind in Art. 2 niedergelegt worden.(1)
Nun kann aber ferner der Fall eintreten, dass bei einer Lücke des gesetzten Rechtes auch kein Gewohnheitsrecht vorhanden ist.
(1) Beide sind weggefallen. Die letztere hat schon der bundesrätliche Entwurf fallen lassen, die erstere wurde durch die Bundesversammlung gestrichen.



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Wo nimmt dann der Richter den Rechtssatz her, nach dem er sein Urteil sprechen soll? Seine vernünftige Einsicht, sein Gewissen, sein Charakter, seine Bildung und Erfahrung müssen ihn hier leiten, damit er das Recht nicht nach seiner Willkür, sondern in einem Verfahren finde, das einer sorgfältigen Ausübung seines Amtes entspricht. Darnach ist in erster Linie erforderlich, dass er sich nach dem umsehe, was für ähnliche Fälle andere schon gesagt oder entschieden haben. Er muss dafür eine sorgfältige, seines Amtes würdige Prüfung treffen. Er soll sich an die bewährte Lehre und Überlieferung halten, wie Abs. 2 von Art. 1 es formuliert. Findet er aber auch hierin keine Anhaltspunkte, so wird er nur noch seiner eigenen, individuellen Überzeugung folgen können, und was hierfür ihm an Anweisung gegeben werden kann, besteht einzig darin, dass ihm gesagt wird, er habe nicht den Fall zu entscheiden nach Willkür, nach dem Eindruck der augenblicklichen Umstände, nach Mitleid, Entrüstung oder persönlicher Neigung, sondern so, als würde er gleich dem Gesetzgeber den Satz formulieren, um ihn dann auf den Fall anzuwenden, der seines Urteiles harrt. In diesem Sinne ist Abs. 3 zu verstehen. Er bedeutet das gleiche, was in der Doktrin schon in die Worte gekleidet worden ist: Der Richter soll in solchen Fällen so entscheiden, wie der konsequente Gesetzgeber selbst entschieden haben würde, wenn er an diese Fälle gedacht hätte. (1)
Wir erhalten somit drei Stufen der Rechtsanwendung: Gesetz, Gewohnheit, Überzeugung des Richters, sei es nach bewährter Lehre und Überlieferung oder nach der Voraussetzung eines Rechtssatzes für den neuen Fall. Ohne eine dieser Voraussetzungen lässt sich eine Rechtsanwendung überhaupt nicht denken, da es zu einer solchen begrifflich stets des Rechtssatzes bedarf, nach dem der Richter den Tatbestand beurteilt. Und im Gang der Rechtspflege wird es in Wirklichkeit auch stets so geübt, nur mit der Abweichung, dass man in einer für uns nicht überall überwundenen Periode von dem Trugbilde ausgehen zu müssen glaubte, der Richter wende stets und in allen Fällen das gesetzte Recht an, wenn nicht nach dessen Wortlaut, so nach dessen Sinn und Geist, während doch diese Voraussetzung in zahlreichen Fällen niemals zutrifft. Man wird freilich gegen die Anerkennung des natürlichen Verhältnisses durch den Entwurf die Einwendung erheben,
(1) ZGB 1 hat den Hinweis auf Lehre und Überlieferung an den Schluss des Artikels gestellt, als auch auf die Gesetzesauslegung anwendbar. Die Erinnerung an den „konsequenten Gesetzgeber" bezieht sich nur auf die Garantie eines richtigen Vorgehens in der Bildung der anzuwendenden Rechtsregel, und nicht auf den Inhalt der letztern.



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der Richter werde hiernach zu selbständig, und richtig ist es ja schon: Er wird freier sein, als er heute dort es ist, wo man ihm zumutet, alles und jedes, und wäre es auch mit den bedenklichsten Interpretationskünsten, aus dem Gesetze abzuleiten. Würdiger aber waltet er des Amtes, wenn solche Kunststücke ihm nicht zugemutet werden. Er soll erkennen dürfen, dass das gesetzte Recht seine Lücken hat, die keine Auslegung auszufüllen vermag. Und hat er dieses festgestellt, so spricht er sein Urteil auf Grund nicht der Lückenlosigkeit des Gesetzes, wohl aber der Lückenlosigkeit der Rechtsordnung und setzt den Rechtssatz voraus, den er im Zusammenhang mit aller übrigen Rechtsordnung als Gesetzgeber für das Richtige halten würde.
2. Im Verhältnis zu dem kantonalen Rechte braucht nicht besonders gesagt zu werden, dass das Bundesrecht in seinem Geltungsbereiche jedes kantonale Recht verdrängt. Das gilt von Seiten des Bundeszivilrechts gegenüber den kantonalen Privatrechten insoweit, als nicht die Bundesgesetzgebung selber Ausnahmen macht und die Geltung kantonalrechtlicher Bestimmungen in ihrem Geltungsgebiete ausdrücklich vorbehält. In diesem Umfange aber kann dann natürlich neben den kantonalen Gesetzen auch dem kantonalen Gewohnheitsrecht die Geltung nicht vorenthalten werden.
Anders nun aber in betreff des kantonalen öffentlichen Rechtes. Dass dieses durch das Bundeszivilrecht nicht verdrängt wird, liegt zwar ebenfalls in dem natürlichen Verhältnis der beiden Hoheitskreise begründet. Allein es ist von grosser Bedeutung, sich dieses Verhältnis klar zu vergegenwärtigen.
Das Privatrecht bedarf nach den verschiedensten Richtungen der Ergänzung durch das öffentliche Recht. Prozessuale Bestimmungen, polizeiliche Anordnungen, Wohlfahrtseinrichtungen vervollständigen die Wirkung, die der Gesetzgeber bei der Ordnung der Privatrechtsverhältnisse im Auge hat, und zu solchen Massregeln des öffentlichen Rechtes sollen die Kantone zuständig bleiben, auch wenn es sich um die Ergänzung bundesrechtlicher Institute handelt, wenngleich stets nur im Rahmen des öffentlichen Rechtes und ohne Änderung am Zivilrechte als solchem. So wird dies beispielsweise geschehen durch Aufstellung einer Prozessordnung für Ehestreitigkeiten oder für Vaterschaftssachen, oder durch den Erlass von Polizeivorschriften über das Lehrlingswesen, über Schutzvorrichtungen für Arbeiter, oder durch Organisation des Kreditwesens mit ländlichen und gewerblichen Leihkassen oder genossenschaftlichen Sparkassen in bezug auf ihren Darlehensverkehr, ihr Pfandgeschäft u. dgl. Hier überall, und in vielen andern Dingen, erschliesst sich der kantonalen Tätigkeit ein überaus vielgestaltiges



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und fruchtbares Arbeitsfeld. Auf diese Kombinationen aber muss in dem Gesetzbuche selbst hingewiesen werden, ihre Bedeutung erheischt es. Die Bestimmung, wie sie in Art. 4, Abs. 1 (1) hierüber aufgestellt worden ist, kann für die sozialen Reformen die grösste Tragweite erhalten. Sie verweist auf ein Gebiet, auf dem die kleineren Kreise zu einer Arbeit aufgerufen werden, die ihnen auch unter dem einheitlichen Zivilrecht nach der Natur der Sache gewahrt bleiben wird.
Der Entwurf wollte anfänglich in dieser Richtung noch deutlicher sein und in einem eigenen Absatz auf solche kantonalen verwaltungsrechtlichen Ergänzungen des Bundeszivilrechtes besonders verweisen. Dies ist jedoch in den Beratungen als unnötig abgelehnt worden. Beibehalten aber wurde die spezielle Vorschrift des Art. 4, Abs. 2 (2). Wo es sich nämlich darum handelt, eine Sache ausser Verkehr zu setzen, liegt nicht bloss eine Vorkehr des öffentlichen Rechtes, sondern zugleich ein Eingriff in das Privatrecht vor, und wenn darüber nichts bestimmt wäre, so würde man leicht zu dem Schlusse gelangen, dass unter dem einheitlichen Zivilrecht nur der Bund zu einer solchen Massregel zuständig sei. Dies würde aber den tatsächlichen Bedürfnissen nicht entsprechen. In bezug auf den Verkehr mit Giften, zum Schutz gewisser Pflanzen (Edelweiss), zur Ordnung der Verhältnisse an "Kirchenörtern", zur Wahrung von Kunstaltertümern kann das Bedürfnis für die Aufstellung lokaler, d. h. kantonaler Vorschriften gegeben sein (vgl. über das geltende Recht Schweiz. PR III, S. 17 f.), und man sieht nicht ein, weshalb der Bund solches verhindern sollte. So rechtfertigt sich der Abs. 2 des Art. 4, wo in zwei Gestalten, als Verbot des Verkehrs mit gewissen Sachen unter Strafvorschrift oder unter der Androhung der Nichtigkeit, das Einschreiten der kantonalen Gesetzgebung vorbehalten wird. Natürlich steht im Umfang seiner öffentlichrechtlichen Hoheit die gleiche Befugnis auch dem Bunde zu.
3. Endlich mit Hinsicht auf das Verhältnis zu den fremden Rechten handelt es sich in der Einleitung nur darum, die Anwendung solchen Rechtes grundsätzlich vorzubehalten, während die nähere Ordnung der Verhältnisse aus schon entwickelten Gründen dem Schlusstitel zugewiesen wird. Es sind dabei zwei allgemein anerkannte Bestimmungen, die in Art. 5 der Einleitung Aufnahme gefunden haben.(3) Einmal, dass der Bund ermächtigt ist, durch
(1) Vgl. ZGB 6, Abs. 1. (2) Vgl. ZGB 6, Abs. 2. (3) Dieser Artikel wurde schon in den bundesrätlichen Entwurf nicht mehr aufgenommen. Siehe oben S. 34, Anm.



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Staatsverträge dieses Verhältnis in einer vom Bundeszivilrecht abweichenden Art zu ordnen, Abs. 1. Und sodann, dass der Nachweis des fremden Rechtes der rechtsuchenden Partei zugemutet werden darf, ohne dass jedoch der Richter davon befreit wird, in den gegebenen Fällen das fremde Recht auch dann anzuwenden, wenn es zwar nicht von der Partei nachgewiesen, wohl aber ihm sonst bekannt ist. Andernfalls wird für alle Entscheidungen einfach auf das schweizerische Zivilrecht verwiesen.